2.6.3.5 - Kassel-Wilhelmshöhe, Löwenburg, Gesamtanlage, Grundriß (Kopie)



2.6.3.5 - Kassel-Wilhelmshöhe, Löwenburg, Gesamtanlage, Grundriß (Kopie)


Inventar Nr.: GS 5634
Bezeichnung: Kassel-Wilhelmshöhe, Löwenburg, Gesamtanlage, Grundriß (Kopie)
Künstler: Heinrich Christoph Jussow (1754 - 1825), Architekt/-in, Entwurf
unbekannt, Zeichner/-in, Ausführung
Datierung: um 1796
Geogr. Bezug: Kassel-Wilhelmshöhe
Technik: Graphit, Feder in Schwarz, schwarz laviert
Träger: Papier
Wasserzeichen: -
Maße: 15,3 x 20,4 cm (Blattmaß)
Maßstab: bezifferter Maßstab ohne Maßeinheit
Beschriftungen: oben rechts: "A. B. Ritter Zimmer / CD. deren Knappen / E. Burg Pfaffe / FG Schreiber u K[...] / H.I. Silber Kammer / KL Knappen / Stuben / MN. Dirnen" (Feder in Braun)


Katalogtext:
Der miniaturhaft kleine Grundriß gibt mit den acht Deckblättern einen Überblick über sämtliche Etagen der Löwenburg. Die Beschriftung in brauner Tinte, die vermutlich vom Landgrafen hinzugefügt wurde, benennt die Funktion der jeweiligen Räume. Nach Dittscheid (Dittscheid 1987, S. 183) soll die Beschriftung mit derselben Tinte ausgeführt worden sein wie der Grundriß. Dies interpretiert er als Hinweis, daß auch der Grundriß vom Landgrafen ausgeführt wurde. Für Grundriß und Beschriftungen wurden jedoch eindeutig zwei verschiedenfarbige Tinten benutzt. Das Blatt ist ein wichtiges Zeugnis für die geplante Nutzung der Burg.
Der Osttrakt war der eigentliche Wohnbereich. Er enthielt drei vollständige Appartements, die "Fremde Ritter- und Herrn Zimmer" im Erdgeschoß sowie "des Burg Herrn Zimmer" und die "Burg-Frau-Zimmer" in der Beletage. Beide Wohnungen des ersten Stockwerks waren über die "Retraite" miteinander verbunden. In das Appartement des Landgrafen war das Zwischengeschoß des Bergfrieds mit dem "VorSaal" und der "Bibliotheck" integriert. Das dritte Geschoß des Turmes wurde als "Ritter-Ordens-Saal" genutzt und die drei Räume darüber, die ehemals für Bedienstete vorgesehen waren, als "Wohnung für Ritter". Weiter nahm der Osttrakt im Erdgeschoß die Küche und die Speisekammer auf.
Die Wohnung des "Burg Vogt" zog sich über das Erdgeschoß und die erste Etage des Nordtrakts. Im Westtrakt befanden sich im Erdgeschoß die Rüst- und Silberkammer, die Kapelle, die Burgwacht, die Kammer des Stallknechts sowie der Marstall, im Obergeschoß die Zimmer des Burgpfaffen und Schreibers sowie weitere Ritterzimmer.
Der vorliegende Grundriß ist nicht die erste Funktionszuweisung, die für die Räume der Löwenburg vorgenommen wurde. Bereits die Grundrisse vom Winter 1794/95 Marb. Dep. 45 und GS 18404 benennen einige der Räume und bezeugen Veränderungen bei den Funktionszuweisungen. So wurde auf dem Grundriß GS 18404 die Küche vom Ost- in den Westtrakt verlagert und zwar in den Raum, der hier für die Rüstkammer vorgesehen ist. An dieser Stelle erwähnen auch die "Historischen Nachrichten" - eine der wenigen erhaltenen schriftlichen Quellen zur Anordnung der Räume in der Löwenburg - die Küche. Im Zusammenhang mit der Vergrößerung der Anlage, die ab 1795 geplant war, führen sie nach der Auflistung der einzelnen Räume im Bergfried auch die Aufgaben der anderen Gebäudetrakte auf: "Ein dießen Thurm [den Bergfried] halb umgebendes Gebäude enthält in 2 und 3 Stockwerken: drey vollständige Appartements und vier Ritter-Wohnungen. [...] Nach Norden schließt die Burgvogts Wohnung und ein Thor den Burghof ein, der nach Westen von dem Marstall Bau, in welchem auch die Rüstkammer ist, von der Kapelle und vom Küchenbau; nach Süden aber von der Thorwarte und einem Thor, über welchem das Burg Verlies ist, begrenzt wird" (zit. nach Holtmeyer 1913, S. LXXf.).
Abgesehen von der Küche, um deren Position offensichtlich lange gerungen wurde, stimmt die Beschreibung mit dem vorliegenden Grundriß überein. Während die drei Appartements im Osttrakt eindeutig zu lokalisieren sind, bleibt allerdings unklar, wo die vier Ritterwohnungen angeordnet werden sollten. Da die "Historischen Nachrichten" bis zu drei Stockwerke für den Palas vorsehen, könnten sie für das dritte, nicht ausgeführte Geschoß gedacht gewesen sein.
Die Übereinstimmungen mit den "Historischen Nachrichten" sprechen für eine Datierung des Grundrisses ins Jahr 1795/96. 1796 befand sich die Aufstockung bereits im Bau.
Dittscheid setzt das Blatt dagegen zwei Jahre später an, da die Burgkirche in der erst 1798 realisierten Form mit drei Schiffen, Rundpfeilern und zweibahnigen Maßwerkfenstern wiedergegeben ist. Nichtsdestotrotz kann die Kirche schon wesentlich früher in dieser Form geplant gewesen sein. Auch gibt es meines Erachtens keine zwingende Notwendigkeit, die Entstehung des Grundrisses zu dem festlichen Einzug in die Burg am 29. August 1798 in Beziehung zu setzen, wie es Dittscheid tut: "[...] und es darf als sicher gelten, aus welchem aktuellen Anlaß er [der Landgraf] dies [das Zeichnen des Grundrisses] tat: Er bereitete damit die erstmalige Inszenierung mittelalterlich-ritterlichen Lebens vor, die sich mit dem Einzug in die Burg am 29. August 1798 verband. Begriffe wie 'Ritterordenssaal, Burgpfaffe ...' deuten dabei auf phantastische Rollenverteilungen nach den Vorstellungen des Erbauers hin" (Dittscheid 1987, S. 184).
Von wem und für welchen Zweck der ungewöhnlich kleinformatige Grundriß mit den vielen Klappen angefertigt wurde, konnte bisher noch nicht geklärt werden.

Text übernommen aus Katalog Kassel 1999/CD-Rom [CL]


Literatur:
Klein 1975, S. 151, Abb. 5; Dittscheid/Einsingbach/Fink 1976, S. 29, Abb. 19, S. 37, Abb. 24, S. 38, 40, Abb. 26 (Ausschnitt), S. 52; Dittscheid 1987, S. 183f., 354f., Nr. 177, Abb. 338-339 (dort dem Landgrafen zugeschrieben und 1798 datiert); Katalog Kassel 1999/CD-Rom


Letzte Aktualisierung: 20.09.2017



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