12.7.7.2 - Idealentwurf zu einer evangelischen Kirche, Aufriß



12.7.7.2 - Idealentwurf zu einer evangelischen Kirche, Aufriß


Inventar Nr.: L GS 14623
Bezeichnung: Idealentwurf zu einer evangelischen Kirche, Aufriß
Künstler: Johann Heinrich Wolff (1792 - 1869), Zeichner/-in
Datierung: 1823
Geogr. Bezug:
Technik: Graphit, Feder in Grau und Braun, grau, braun und rosa laviert
Träger: Papier
Wasserzeichen: "J W(HATMAN)"
Maße: 42,5 x 43,2 cm (Blattmaß)
Maßstab: unbezifferter Maßstab ohne Maßeinheit
Beschriftungen: Extrablatt, unten mittig: "Entwurf zu einer evangelischen Kirche. / Der über die Kirche hervorragende Thurm, welcher das, an seinem Fusse liegende Gebäude anzeigen soll, steht isoliert. [...]" (Feder in Schwarz)
unten: "I. H. Wolff von Cassel. inv. 1823" (Feder in Schwarz)
verso: mit Bleistift "196" (Graphit)


Katalogtext:
In einer Serie von vier Blättern arbeitete Johann Heinrich Wolff seine Entwürfe zu einer evangelischen Kirche aus. Die sorgfältig angelegten, zur Präsentation vorgesehenen Blättern sind jeweils in einem runden, doppelt gerahmten Darstellungsfeld ausgeführt, dem im unteren Bereich ein Extrablatt mit Erläuterungen beigefügt ist.
Auf einem sechseckigen, erhöhten Plateau erhebt sich die Kirche als zweigeschossiger, kreisrunder Bau, dem an drei Stellen paradiesartige Vorhallen vorgesetzt sind. Diese sind nach außen geöffnet und von einer Konche überfangen. Stirn- und Innenwände zeigen eine reiche skulpturale und ornamentale Ausstattung. Auf Erdgeschoßebene ist dem Bau ein von klösterlichen Kreuzgängen abgeleiteter Arkadengang vorgesetzt. Das Gebäudezentrum mit der Altarstellung im Innern wird durch eine flache Tambourkuppel mit Opaion akzentuiert. Darüber ragen die beiden abschließenden Geschosse des rückseitig, getrennt vom Kirchenbau, plazierten Kirchturms auf.
Der Entwurf präsentiert einen originellen Stileklektizismus. Während sich die Grundstruktur an frühchristlichen zentralen Kuppelkirchen wie S. Vitale in Ravenna orientiert, die im Innern eine durch den inneren und den äußeren Mauerring entstehende zweigeschossige Gliederung in Umgang und darüberliegende Emporen zeigen, rezipieren der freigestellte, campanileartige Glockenturm und die paradiesartigen Vorhallen mittelalterliche Kirchenbauten. Auch bei der figürlichen Skulptur knüpfte Wolff an die mittelalterliche Kirchenbautradition an und entwickelte ein ikonographisches Bildprogramm mit einer über allem thronenden "Statue der Religion“ im oberen Kirchturmgeschoß, den überdimendionalen Figuren der Religionsstifter (Luther, Zwingli und Calvin) über den Eingängen und einem "Abbild des göttlichen Stifters unserer Religion auf dem Schweisstuche“ als Tympanondarstellung über dem Haupteingang. Aufgesockelte Figuren flankieren die Eingänge in Anlehnung an die Gewändeportale französischer gotischer Kathedralen. Dagegen ist der ornamentale Baudekor, der die Mauerflächen überzieht und in seiner reichen Verwendung beinahe einem horror vacui gleichkommt, im Stil des Spätempire ausgeführt.
Die Anregungen zu diesem Entwurf gehen noch auf Wolffs Pariser Lehrzeit zurück, in der er sich mit der jüngeren französischen Architektur auseinandersetzte. Als Anschauungsquelle für ältere, architekturgeschichtlich herausragende Objekte griff er nachweislich auf Durands "Recueil et parallèle des édifices de tout genre“ (Durand 1801) zurück, in der auch konzentrisch angelegte, überkuppelte Kirchbauten frühchristlicher Zeit zu finden sind. Ebenso ist der Zeichenstil, bei dem über eine Graphitvorzeichnung die Lavierung gelegt und die Darstellung erst abschließend mit der Feder bearbeitet wurde, ein Ergebnis von Wolffs Studien in Paris. In gleicher Weise sind die Studienblätter von Louis-Théodore Liman ausgeführt (s. L GS 15217 - L GS 15219, L GS 15225, L GS 15239), die Wolff zusammen mit seinen eigenen Arbeiten aus Paris mitbrachte.
Stand: September 2004 [MH]


Literatur:
unpubliziert


Letzte Aktualisierung: 09.05.2022



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