1.5 Residenzpalais am Friedrichsplatz


Das Residenzpalais am Friedrichsplatz in Kassel war das Residenzschloß der hessischen Kurfürsten. Aufgrund der Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und dem Abbruch der Ruine in der Nachkriegszeit ist heute nur noch der vor ein Kaufhaus gestellte Portikus des Roten Palais vorhanden. Das Residenzpalais setzte sich aus drei zu unterschiedlichen Zeitabschnitten entstandenen Bauteilen zusammen, dem Weißen Palais, der Erweiterung und dem Roten Palais.
Das an der Nordwestecke des Friedrichsplatzes stehende Weiße Palais bildete den ältesten Teil der Anlage. Das Gebäude wurde 1769 bis 1772 durch den Architekten Simon Louis Du Ry für Oberst Friedrich von Jungkenn-Müntzer in spätbarocken Formen errichtet, wobei das kräftig profilierte Giebeldreieck den Klassizismus ankündigte. Das Gebäude besaß durch den Hauptbau gegen den Friedrichsplatz und einen Flügel entlang der Königsstraße einen winkelförmigen Grundriß. Die Fassadengliederung und der Grundriß der Beletage waren vom französischen Hôtelbau des 18. Jahrhunderts geprägt. Das Weiße Palais bildete von Anfang an einen wichtigen Teil des von Du Ry geschaffenen Friedrichsplatzes, da es zusammen mit der Elisabethkirche das Museum Fridericianum flankierte. Die Innenausstattung des Weißen Palais erfolgte im Stil des späten Rokoko, wobei der Bauherr Oberst von Jungkenn-Müntzer allerdings feststellen mußte, daß er sich finanziell übernommen hatte. Deshalb verkaufte er das Anwesen 1772 an die hessischen Landstände und behielt aber den Hauptbau bis in die neunziger Jahre als Wohnsitz bei.
Nach vorübergehender Nutzung als Justizministerium in westfälischer Zeit überließen die hessischen Landstände das Weiße Palais 1814 dem Kurprinzen Wilhelm als Wohnsitz. Der bisherige Wohnsitz der kurfürstlichen Familie, das Landgrafenschloß, war 1811 einem Brand zum Opfer gefallen. Allerdings entsprach das Gebäude mit seiner spätbarocken Ausstattung nicht mehr dem gewandelten Geschmack der damaligen Zeit, so daß der Kurprinz den damals noch nicht durch eigene Werke hervorgetretenen Architekten Johann Conrad Bromeis für den Umbau engagierte. Bromeis legte im Frühjahr 1815 die entsprechenden Entwürfe vor, nach denen in den Jahren 1815/16 ein neues Treppenhaus eingebaut wurde und die Räume in der Beletage eine gediegene Ausstattung im Empirestil erhielten. Der einzige, etwas aufwendiger gestaltete Raum war das Holzkabinett mit Wänden aus gemasertem Birkenholz sowie Säulen aus Erlenmaser und Nußholz.
Neben den Wohnräumen sollten im Weißen Palais jedoch auch Festräume entstehen. Bromeis sah diese im Flügel an der Königsstraße vor, doch ein vom Kurprinzen gewünschter großer Ballsaal konnte dort nicht untergebracht werden. Deshalb fügte ihn der Architekt im Entwurf zunächst als rückwärtigen Annex an diesen Flügel an. Als sich jedoch herausstellte, daß noch weitere Nebenräume benötigt wurden, rückte er den Saal vom Flügel an der Königsstraße ab, drehte ihn parallel dazu und schloß ihn an das Stallgebäude an. Eine Galerie stellte die Verbindung zum Königsstraßenflügel her. Der 1816 in vier Präsentationszeichnungen konkretisierte Entwurf gelangte in den Jahren 1816 bis 1821 zur Ausführung. Die Außenfassaden zeigten im Gegensatz zum Weißen Palais nun klassizistischen Formen. Die Fassaden der Erweiterung besaßen eine horizontale Schichtung ohne einfassende Ecklisenen, jedoch mit umlaufenden ornamental verzierten Gurtbändern und Lünettenbögen. Als Vorbilder dienten ihm hier die Bauten des norddeutschen Klassizismus, die wiederum auf der Revolutionsarchitektur fußten. Durch seinen ornamentalen Schmuck besonders hervorgehoben war der Tanzsaal. Um die Symmetrie des Friedrichsplatzes nicht zu stören, wurde der gesamte Erweiterungsbau gegen den Friedrichsplatz zurückgesetzt und durch einen mit Bäumen und Büschen bepflanzten Garten kaschiert. Im Inneren schuf Bromeis durch den Umbau der Beletage des Flügels an der Königsstraße eine Folge von Gesellschafts- und Festräumen, die ihren Höhepunkt im Tanzsaal hatten. Wie schon im Weißen Palais, so dominierte auch in den Gesellschafts- und Festräumen in jedem Raum eine andere Farbe. Auf das in Schwarz und Gold gehaltene Ägyptische Zimmer folgte der Coursaal mit feuerroter Wandbespannung. An die benachbarte Gelbe Galerie schloß sich die in Grün und Blaugrau gehaltene Stuckgalerie an. Den Abschluß bildete der in Blau, Gelb und Braun gehaltene Tanzsaal. Sämtliche Gesellschafts- und Festräume erhielten prachtvolle Raumdekorationen und üppiges Mobiliar, wobei Bromeis sich sehr stark am französischen Empire orientierte. Zahlreiche Anregungen entnahm er dem "Receuil des décorationes intérieures" von Percier und Fontaine, den Hofarchitekten Napoleons. Die Übernahmen aus diesem und anderen Stichwerken reichten von der Anregung zu ähnlichen Entwürfen und der Verwendung einzelner Formelemente in anderem Kontext bis zur Übernahme ganzer Entwürfe in gering abgewandelter Form.
1821 gelangte der bisherige Kurprinz als Kurfürst Wilhelm II. auf den kurhessischen Thron. Gleich nach dem Regierungsantritt entschloß er sich, das von ihm bewohnte Weiße Palais um einen Trakt mit Festräumen zu erweitern und damit zum kurhessischen Residenzschloß ausbauen zu lassen. Der Kurfürst wählte wiederum einen Entwurf seines nunmehrigen Oberhofbaumeisters Bromeis, der anstelle des Marstalls und des Gartens drei Flügel mit Festräumen vorsah, so daß sich die gesamte Anlage des Residenzpalais um zwei Innenhöfe gruppierte. Zwischen 1821 und 1831 entstand auf der Grundlage dieses Entwurfs das Rote Palais mit den Zeremonialräumen des Kurfürstentums. Die Außenfassade, auf Wunsch des Kurfürsten mit roten Sandsteinplatten verkleidet, wurde gegen den Friedrichsplatz durch einen sechsachsigen Portikus akzentuiert. In der Gestaltung der Fassade zeigte das Erdgeschoß eine Quaderrustika mit Rundbogenfenstern, während das Obergeschoß darüber hinaus durch Venezianische Fenster und Rechteckfenster gegliedert wurde. Das Innere enthielt die Zeremonialräume, die vom Vestibül über das Treppenhaus, die Kleine Galerie, den Blauen Saal, den Grünen Saal in den Thronsaal führten. Hinzu kamen noch der Pariser Saal und die Speisegalerie. Die Dekoration steigerte sich von Raum zu Raum, wobei auch hier jeder Raum wieder in einer anderen Farbe gehalten war. Zur hochwertigen Ausstattung gehörten Intarsienparkettfußböden, Pilastergliederungen aus Stuckmarmor an den Wänden, Deckenmalereien und reich verziertes Mobiliar im Stil des Empire. Auch in diesen Räumen griff Bromeis immer wieder auf Vorlagen aus dem "Recueil“ von Percier und Fontaine zurück. Die Speisegalerie nahm insofern eine Sonderstellung ein, da hier die Malerei dominierte. Die Wandfelder waren mit Motiven aus den Loggien Raffaels im Vatikan bemalt. Im Residenzpalais hatte Bromeis Innenräume des Empire geschaffen, die nach Georg Dehio mit zum Besten der Gattung in Deutschland zählten.

Stand: September 2004 [RB]




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