1.17 Bose-Museum


An der neuen "von der Straße vor dem Königsthor nach der Querallee" (Denkmaltopographie 2005/3, S. 342) gelegenen Straße kaufte die Gräfin Louise Bose, die älteste Tochter des Kurfürsten Wilhelm II. und der Gräfin Reichenbach-Lessonitz, im Jahr 1883 ein Grundstück, auf dem ein Museumsbau errichtet werden sollte. Da in der ehemaligen Residenzstadt kein Museum existierte, das die Geschichte des Hauses Hessen zeigte (Lemberg 1998, S. 173), hatte sich die Gräfin Bose neben ihrem karitativen Engagement die Gedächtnisstiftung der fürstlichen Familie zur Aufgabe gemacht. Margret Lemberg vermutet in diesem Projekt - sicher nicht zu Unrecht - einen Versuch des unehelich geborenen Kindes, sich eine angemessene Stellung in der Familie zu verschaffen, die Louise Bose zeit ihres Lebens nicht gewährt worden ist. Am 21.6.1883 teilte die Gräfin Bose die beabsichtigte Schenkung der Stadt mit, und am 3.10.1883 wurde das Museum mit der Testamentseröffnung offiziell gestiftet.
Unter der Oberleitung des Königlichen Baurats Wagner entstand der am 20.6.1884 eröffnete Museumsbau. Die Blätter in der Graphischen Sammlung lassen sich drei Entwurfsserien zuordnen und dokumentieren einen Planungsprozeß, der bereits im Herbst 1881 einsetzte (s. GS 15555). Zu der Person des Baurats Wagner, dem ein Konvolut von 19 Zeichnungen zugeordnet werden kann, ließen sich leider keine weiteren Angaben ermitteln. In einem Kasseler Verwaltungsbericht der Regierungsjahre 1882/83-1885/86 (Bericht über die wichtigsten Zweige der Verwaltung der Residenzstadt Cassel in den Rechnungsjahren 1882/83 bis einschließlich 1885/86, Kassel 1888, S. 112; frdl. Hinweis von Thomas Wiegand, Kassel) wird der in Frankfurt ansässige Baurat Wagner als Planverfasser genannt. Anfragen beim Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt sowie beim Stadtarchiv Baden-Baden, dem damaligen Wohnort der Gräfin Bose, ergaben leider keine Ergebnisse. Eine Übereinstimmung mit Hermann Friedrich Wagner (1828-1895), dem Erbauer des Frankfurter Friedrichsgymnasiums (s. Losch-Kartei), der mit Zeichnungen zur Kaserne in Hanau in der Sammlung vertreten ist (GS 8089, GS 8090, L GS 8082, L GS 8087, L GS 8088), ist zwar möglich, jedoch nicht zu beweisen.
Erst mit dem Tod von Graf Bose am 25.12.1887 konnte das Museum mit Gegenständen aus dem Besitz der Familie endgültig eingerichtet werden. Die Kunstsammlung, die den Grundstock der Städtischen Kunstsammlungen bildete, ist durch einen Bestandskatalog aus dem Jahr 1899 mit insgesamt 324 Objekten dokumentiert. Neben der reichen Gemäldesammlung, darunter viele Porträts hessischer Landgrafen sowie Landschaftsbilder und Genreszenen des 19. Jahrhunderts, umfaßte die Sammlung auch Porzellan, Miniaturen, Schmuck, Medaillen, Münzen sowie andere Objekte des Kunsthandwerks (z. B. "2 silberne, vergoldete Schlüssel für Jérôme bei seinem Einzug 1807 bestimmt", Katalog Kassel 1899, Nr. 321), des weiteren Urkunden und Schriftstücke zur eigenen Familiengeschichte und einige wenige Möbel aus dem gräflichen Besitz, die den Museumsräumen ein privates Flair gaben (Lemberg 1998, S. 182).
Das zurückhaltend dimensionierte Haus vermittelte den Eindruck einer Privatvilla, an die sich eine Gartenanlage anschloß. Auf Anweisung der Gräfin Bose war das Gebäude nach dem Vorbild des Atelierbaus des in Baden-Baden lebenden Bildhauers Joseph von Kopf mit einem Sockelgeschoß in Rustika-Mauerwerk und einem verputzten Hauptgeschoß im neoklassizistischen Stil errichtet worden. Das zusätzlich aufgenommene badische Fußmaß deutet ebenfalls auf diese Vorbild hin. Zwei Arbeiten hatte der Bildhauer eigens für die neuen Museumsbau geschaffen, darunter eine Replik der Grabstele für den Lichtentaler Friedhof in Baden-Baden mit dem Relief von Graf und Gräfin Bose, das das Ehepaar in antik-römischer Gewandung zeigt. Diese für das Vestibül bestimmte Plastik hat sich - allerdings ohne die Bekrönung - zusammen mit zwei Sandsteinsäulen auf dem Grundstück erhalten. Die Mitte der zur Straße hin gelegenen Rückfront schmückte einst die lebensgroße Plastik "Die Wahrheit" von Kopf. Der Eingang befand sich an der von der Luisenstraße abgewandten Seite und war damit auf eine weitere Stiftung der Gräfin, das Kinderkrankenhaus "Zum Kind von Brabant", hin ausgerichtet.
Eine Beschreibung des städtischen Konservators und Restaurators Arthur Ahnert aus dem Jahr 1910 kann zumindest ansatzweise eine Vorstellung von den Innenräumen geben: "[…] Im 1. Saale sieht man sie (Gräfin Bose) inmitten ihrer reichhaltigen Sammlung von Porträts hessischer Fürsten und Fürstinnen […] vom lebensgroßen Kniestück bis zum Miniaturbildchen. […] Die übrigen Räume sind meist gefüllt mit Historien- und Genreszenen, Landschaftsbildern, Architekturstücken usw., welche bedeutende Künstlernamen aufweisen (Tischbein, Bottner, v. Rohden). In der Mitte des 2. Saales steht ein riesiger Glasschrein, gefüllt mit wertvollen Porzellanen, kostbaren Geschmeiden, Medaillen und Münzen, seltenen Büchern, alten Urkunden, teuren alten Spitzen und einer Menge anderer kostbarer und seltener kunstgewerblicher Gegenstände. Die Aufstellung einiger weniger beachtenswerter Möbel tragen etwas zur Behaglichkeit bei, haben aber sonst keinen Kunstwert" (StAr Kassel, S 1 Nr. 242, zit. nach Lemberg 1998, S. 182).
Nach dem Ende der preußischen Herrschaft wurde das Museum im Jahr 1921 von der Stadt aufgelöst, das Gebäude wurde unter Mißachtung des Stiftungsvertrags in ein Rentnerheim umgewandelt (Lemberg 1998, S. 182). In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg konnte und wollte der Magistrat die notwendigen Gelder zum Unterhalt des Hauses nicht aufbringen. Die Exponate wurden zum Teil eingelagert, Bücher und Möbel sowie einige nach Ansicht der Verantwortlichen weniger bedeutende Gegenstände verkauft. Öffentlich wurde diese Entscheidung nur ansatzweise in Frage gestellt, wobei die Redakteure der Zeitschrift "Hessischer Volksbund" hier in erster Linie hervortraten. Ein Teil der Gemälde gelangte ins zweite Geschoß des Weißen Palais am Friedrichsplatz, wo aus den Beständen des Bose-Museums sowie dem Besitz der Stadt die Gründung einer Städtischen Gemäldegalerie erfolgte (Artikel im Juliheft 1921 der Zeitschrift "Hessenland" über die Städtische Galerie, S. 97-99). Eine im Jahr 1928 durchgeführte Neuhängung ließ den Stiftungsgedanken in den Hintergrund treten, indem auf das bis dahin existierende Stifterzimmer verzichtet wurde. Im Jahr 1937 erfolgte der Auszug der Sammlung in das Städtische Kunsthaus am Ständeplatz. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude beschädigt, gleichwohl nicht zerstört. In den Nachkriegsjahren war die Nutzungsfrage ungeklärt. Die ursprüngliche Museumsnutzung stand indes nicht zur Disposition, da das seit 1921 nicht mehr diesem Zweck dienende Gebäude komplett hätte saniert werden müssen. Nach einer Ausgleichszahlung an die Stiftungsabteilung wurde das Gebäude abgerissen und 1960 eine Sonderschule für Heilpädagogik (August-Fricke-Schule) dort errichtet. Mit dem Umzug der Schule im Jahr 1998 wurde auch dieser Bau abgerissen. Seitdem liegt das Gelände brach (Denkmaltopographie 2005/3, S. 343; Lemberg 1998, S. 200).

Stand: August 2007 [MH]




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