1.18 Hessisches Landesmuseum


An der ansteigenden Südseite des unregelmäßigen, fünfseitigen Brüder-Grimm-Platzes (ehemals Wilhelmshöher Platz) wurde in den Jahren zwischen 1910 und 1913 das Hessische Landesmuseum nach Plänen des Münchener Architekten und Stadtbauplaners Theodor Fischer errichtet. Der Bau steht parallel zur Wilhelmshöher Allee in erhöhter Position und einer dominanten Ausrichtung als point de vue hinter dem oberen Ende der Oberen Königsstraße.
Die Planungen zu diesem Museumsbau gehen auf Museumsdirektor Johannes Boehlau zurück, der nachweisbar seit 1898 die Idee eines Gebäudes für die hessischen Altertümersammlungen verfolgte (Promemoria vom 1.9.1898 an die preußische Kultusverwaltung, s. Schmidt 1988, S. 27), um die Objekte, die über das Museum Fridericianum, die Gemäldegalerie und das Ottoneum verteilt waren, zusammenzuführen. An den Bau- und Verwaltungskosten sollten sich die Stadt Kassel und die Provinzialverwaltung, in diesem Fall der Hessische Bezirksverband, beteiligen (Schmidt 1988, S. 27).
Zunächst verfolgte Boehlau das Konzept, die kulturelle Landesgeschichte anhand der beweglichen, nicht-schriftlichen "Sachüberreste" in Hessen-Nassau darzustellen, im Planungsverlauf erweiterte er dieses Prinzip. Nun sollte neben der rein historisch ausgerichteten Bestandssammlung auch das Kunstgewerbe gezeigt werden, das als Lehrmaterial für eine qualitätvolle zeitgenössische Massenproduktion dienen sollte. Schließlich wurde das Kunstgewerbe zum übergeordneten Thema der Präsentation, und der kunstgewerbliche Charakter beherrschte die Schausammlungen (Schmidt 1988, S. 33).
Wohl bereits im November 1898 fanden erste Gespräche zwischen Boehlau und Theodor Fischer statt, die in verwandtschaftlicher Beziehung zueinander standen. Vorskizzen in Form von zwei Grundrissen und einem Längsschnitt erarbeitete Fischer im Januar 1907. Ein Charakteristikum des ausgeführten Baues, die Breitfenster, ist hier noch nicht zu finden, sie waren das Ergebnis einer Überarbeitung dieser Vorstudien im Juli 1907. Dieser Entwurf wurde von Fischer im selben Monat bei der Stadt Kassel eingereicht (Schmidt 1988, S. 28).
Die nachfolgenden Diskussionen um die Zweckmäßigkeit des Entwurfs führten zu verschiedenen Nachbesserungen. Eine weitreichende Einflußnahme übte der Industrielle Sigmund Aschrott aus, der seine Spende an die Bedingung knüpfte, daß ein "Exportmusterlager" nach dem Vorbild der "Centralstelle für Handel und Gewerbe" im Württembergischen Landesmuseum eingerichtet wurde.
Ein neuer Entwurf vom Oktober 1907 trug dem erweiterten Raumprogramm der zweiten Planungsphase mit einer 2.500 qm großen Nutzfläche Rechnung. Bedenken wegen des streng axialsymmetrischen Grundrisses und der offenen Raumanordnung führten zu einer nochmaligen Überarbeitung, deren Ergebnis im Januar 1909 vorlag. Nach weiteren Detailänderungen wurde der Entwurf dem preußischen Kaiser Wilhelm II. im August 1909 vorgelegt. Trotz dessen Kritik am geraden Turmabschluß wurde der Plan als Ausführungsentwurf genehmigt. Weitere Detailänderungen folgten, und neue Pläne waren im November 1909 fertiggestellt. Der Vertrag mit Theodor Fischer als künstlerischem Leiter des Gebäudes wurde am 24.4.1910 aufgesetzt. Im Januar 1912 veränderte Fischer die Gestalt des Turmabschlusses.
Zur Ausführung kam ein viergeschossiger Bau unter einem Mansarddach, der aus zwei hintereinander angeordneten Gebäudeteilen besteht, die durch einen Mitteltrakt und zwei niedrige Seitenflügel miteinander verbunden sind. Die parallel zur Wilhelmshöher Allee ausgerichtete Eingangsfront wird durch einen polygonalen Vorbau mit Turmaufsatz akzentuiert. Ein Charakteristikum des Baues sind die Breitfenster, die im Innern ein indirektes, gleichmäßiges Licht erzeugen. Als Baumaterial für die Außenfronten wurde thüringischer Travertin aus Langensalza verwendet. Für das innere Bauskelett kam erstmals in Kassel Eisenbeton zum Einsatz. Alle Räume erhielten Betonplatten- und Balkondecken mit übergehängten Rohrputzdecken.
Die Gestaltung des Innern begann Ende des Jahres 1912. Am 11. Dezember 1912 wurden einige der antiken Statuen im großen Mittelsaal aufgestellt. Neben Theodor Fischer waren der Architekt und Kunsthistoriker Julius Wolfgang Berrer, der die Gestaltung der Vitrinen übernahm, sowie der Maler und Heraldiker Otto Hupp, der im Juni 1913 den Wappenfries im Wappensaal anlegte, an der Ausführung beteiligt (Schmidt 1988, S. 29).
Für die stilgeschichtliche Einschätzung des Baues ist Fischers Haltung zur zeitgenössischen Architektur zu berücksichtigen. So stand er der historistischen Stilausprägung kritisch gegenüber und lehnte die Beliebigkeit des historischen Zitats ab. Zwar zitieren die Grundformen sehr wohl ein historisches Vorbild, in den Details suchte er jedoch, eine neue Architektursprache zu entwickeln. Mit seinen Entwürfen verfolgte er den Anspruch, einen Neubau mit der Geschichte des Ortes, dem Stadtbild und mit der Erinnerung der Bewohner zu verknüpfen. Dazu gehörte auch, regionale Bezüge in der neuen Architektur durchscheinen zu lassen.
Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die direkten Bezüge auf den Zwehrenturm (der erste Entwurf zeigt dies noch recht deutlich) und die Giebelfront des ehemaligen Waisenhauses der reformierten Kirche in Kassel verstehen. In Ansätzen sind auch gewisse hessische Baudenkmäler der Spätrenaissance an dem Gebäude ablesbar (Katalog München 1988, S. 244). Ein Beispiel dafür ist der dreigeschossige Spätrenaissance-Bau mit eingestelltem fünfseitigem Turm von Schloß Nesselröden bei Herleshausen. Eine Parallele im Grundaufbau der Fassade findet sich zudem am Rathaus in Saalfeld/Thüringen, dessen Eingangsfront einen achteckigen Turm zeigt, der zwischen gleich gestaltete Seitenteile gestellt ist (Schmidt 1988, S. 30-32).

Stand: August 2007 [MH]




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