1.60 Palais Reichenbach


Zwischen dem Weißen Palais und dem Palais Hessen-Rotenburg in der Kasseler Königsstraße ließ der Staatsminister und General von Gohr 1772 einen Palaisbau im spätbarocken Stil errichten. Seit 1818 zu den Hofgebäuden gehörend, wurde es 1821 von Kurfürst Wilhelm II. an seine Mätresse, die Gräfin von Reichenbach, zu Wohnzwecken übergeben und unter der Bauleitung von Johann Conrad Bromeis entsprechend umgebaut (StAM Best. 300, A 41, Nr. 2, 13.5.1821). Neben kleineren Maßnahmen, zu denen die Erneuerung von Fußböden im Erdgeschoß, in der Beletage und im zweiten Geschoß und der Einbau neuer Fenster mit größeren Scheiben zu zählen sind, wurde ein zur Unteren Karlsstraße führender Flügelbau errichtet. Hierzu waren Veränderungen am Remisengebäude im Ministerialhof notwendig, das zum Ressort der Hofbau-Direktion gehörte (StAM Best. 300, A 41, Nr. 2, 7.7.1837 sowie der nur zur Hälfte erhaltene Grundrißplan StAM P II 3426). Die entsprechenden Arbeiten zogen sich offenbar bis in die Zeit der Regentschaft von Kurprinz Friedrich Wilhelm hin (StAM Best. 300, A 41, Nr. 2, 24.9.1838). Nach dem Rückzug Wilhelms II. aus der aktiven Politik im Jahr 1831 fiel das Gebäude an seinen Sohn Friedrich Wilhelm. Dieser wiederum übertrug das seit 1843 offiziell Kleines Palais genannte Gebäude auf seine Gemahlin, die Gräfin von Schaumburg. Erneut wurden Renovierungsmaßnahmen durchgeführt, um die Ausstattung auf dem Geschmack der neuen Bewohnerin abzustimmen. Dies geschah nun unter der Leitung von Oberhofbaudirektor Julius Eugen Ruhl, dem auch das Weiße Palais in baulichen Dingen unterstand. Durch einen Kostenvoranschlag für anzufertigende "Thünchearbeit und Malerei" sind zumindest einige der im Palais gelegenen Räume bekannt (Rosa Ankleidezimmer, blaues Wohnzimmer, gelbes Wohnzimmer, Weißes Wohnzimmer, Rother Saal, Grüne Gallerie, Schlafzimmer; StAM Best. 300, A 41, Nr. 2, 18.3.1851), so daß eine Zuordnung verschiedener in der Graphischen Sammlung vorhandener Entwurfszeichnungen gelang.
Die Zeichnungen, die zumeist mit dem Anfangsbuchstaben "R" signiert sind, können mittels beigefügter beschrifteter Blätter, in die sie eingelegt sind, den verschiedenen Räumen zugeordnet werden. Demnach sollte das mit einer gelben Tapete ausgeschlagene Wohnzimmer in der Beletage folgende Möbel erhalten: "1. Stühle Nr. 2. / 2. Canapée Nr. 2. / 3. Spiegel-Console Nr. 2. / 4. Schreib-Tisch vorhanden." Sowohl Stuhl (Marb. Dep. 102a) und Kanapee (Marb. Dep. 102b) als auch die Spiegelkonsole (Marb. Dep. 102c) liegen als Entwurfszeichnungen vor. Für das Audienzzimmer, das nach Aussage des Begleitblattes mit einer hellblauen Tapete ausgestattet werden sollte, waren folgende Möbel vorgesehen. "1. Stühle Nr. 3. / 2. Canapée Nr. 3. / 3. Spiegel Console Nr. 2. wie im Wohnzimmer." Auch diese beiden Zeichnungen sind vorhanden (Marb. Dep. 104a u. Marb. Dep. 104b). In beiden Serien ist jeweils einer der Entwürfe koloriert, um die Farbgebung des Bezugsstoffs, der jeweils auf die Farbe der Tapete abgestimmt ist, zu verdeutlichen. Dies ist auch bei einem Armlehnsessel mit rosa Bezugsstoff (Marb. Dep. 103) der Fall. Zwar kann dem Sessel kein weiteres auf dem Begleitblatt für das Kabinett aufgelistetes Möbel ("1. Stühle nach Zeichn: Nr. 1. / 2. Bergère oder Divan. / 3. Schreibtisch vorhanden.") mittels einer Zeichnung zugeordnet werden, durch Darstellungsart und Zeichenstil ist der Zusammenhang zu dem Konvolut jedoch zweifelsfrei vorhanden. Nicht eindeutig geklärt werden konnte die Verortung des Rosa Kabinetts und des Audienzzimmers (s. Marb. Dep. 103). Im Fall des Rosa Kabinetts ist jedoch zu vermuten, daß es sich hierbei um das Rosa Ankleidezimmer handelt, daß in einem Kostenvoranschlag von Jatho aus dem Jahr 1851 über eine anzufertigende "Thünchearbeit und Malerei" genannt ist (StAM Best. 300, A 41, Nr. 2, 28.3.1851).
Neben der Neugestaltung des Innern zielte eine Baumaßnahme auf die Errichtung eines Verbindungsbaus zwischen dem Haupt- und dem Flügelbau. Zudem sollte hinter dem Tanzsaal im Obergeschoß des Flügelbaus eine Galerie im pompejanischen Stil entstehen (StAM Best. 300, A 41, Nr. 2, 15.7.1843). Als letztes großes Projekt wurde die Aufstockung des Palais um eine dritte Etage geplant, wozu Ruhl entsprechende Risse sowie einen Kostenvoranschlag anfertigte. Auf Anweisung des Kurfürsten unterblieb die Ausführung jedoch "für jetzt" (StAM Best. 300, A 41, Nr. 2, 12.5.1848).
Die nächste größere Bauphase fand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt, als das Palais von dem Wandel der Königsstraße in eine Geschäftsstraße betroffen war. Der Bauunternehmer Heinrich Schmidtmann erwarb das Gebäude 1881 und ließ im Erdgeschoß eine Schaufensterfront mit Ladentüren anlegen (StAr Ks Best. S5, A 485, HNA vom 24.2.1973). Die oberen Geschosse wurden in Mietwohnungen aufgeteilt. Eine im Erdgeschoß eingerichtete Gaststätte mit dem Namen "Palais-Restaurant" sollte an die Geschichte des Hauses erinnern. Im Jahr 1913 erfolgte in diesem Teil des Gebäudes ein erneuter Umbau (Klaube 2005, S. 43f.). In den 1920er Jahren wurde im Erdgeschoß und im ersten Geschoß des Hintergebäudes die "Billard-Akademie" sowie im zweiten Geschoß das "Herkules-Bräu" untergebracht.
Im Jahr 1940 gab es Überlegungen zu einem nochmaligen Umbau der Ladenzone, wie drei Zeichnungen in der Graphischen Sammlung dokumentieren (GS 18437, GS 18440, GS 18441). Bei dem Luftangriff vom 8. auf den 9. September 1941 wurde das Gebäude schwer beschädigt (frdl. Hinweis von Frank-Roland Klaube, Kassel). Die Straßenfront blieb jedoch stehen, und es bestanden Pläne zum Wiederauf- bzw. Umbau. Die neun Zeichnungen auf Transparentpapier fertigte der Provinzialkonservator Friedrich Bleibaum in den Monaten März und April 1942 in Marburg an. Dahin war die Denkmalpflegebehörde 1940 verlegt worden, nachdem die Bezirksämter von Kassel und Wiesbaden in einem zentralen Amt für die gesamte Provinz Hessen-Nassau zusammengefaßt worden waren und Bleibaum zum Provinzialkonservator ernannt worden war.

Stand: August 2007 [MH]




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