1.70 Garnisonkirche


Auf dem Gebiet des ritterschaftlichen Freihauses, das die hessische Adelsfamilie von Meysenbug spätestens seit 1554 im Westen der Altstadt Kassels besaß, entstand nach dem Abbruch im Jahr 1752 ein Kirchenbau, der für die Militärangehörigen der Stadt Kassel bestimmt war. Landgraf Wilhelm VIII. trieb nach seinem Regierungsantritt 1751 das Bauvorhaben nachhaltig voran. Den Grundstock des im wesentlichen aus Stiftungskapital bestehenden Baufonds bildete das Vermächtnis der Witwe des hessischen Kapitäns Gottschalk, geb. Briede, die bereits im Jahr 1731 ihr gesamtes Vermögen für den Kirchenbau bestimmt hatte. Im zweiten Jahr des Siebenjährigen Krieges (1757) begonnen, stockten die Bauarbeiten bei Einsetzen der Kampfhandlungen. Erst 1765 konnten die Arbeiten fortgesetzt und mit Hilfe einer 1767 durch den Landgrafen angeordneten außerordentlichen Landeskollekte sowie freiwilliger Beiträge der Einwohnerschaft von Kassel in weiteren drei Jahren zu Ende geführt werden. Nach den Plänen des Militärbaumeisters Heinrich Christoph Bröckel, der bei der Ausarbeitung den Vorstellungen des Landgrafen Wilhelm VIII. folgte, entstand auf rechteckigem Grundriß ein zweigeschossiger Saalraum mit umlaufender doppelter Emporenreihe vom Typ protestantischer Predigtkirchen. Dem für diesen Gebäudetyp charakteristischen Formenkanon entspricht die strenge, zurückhaltend ornamentierte Fassadengestaltung. Die Aufteilung aus Sockel, niedrigem Untergeschoß mit Rechteckfenstern und hohem Obergeschoß mit Rundbogenfenstern weist Parallelen zu der 1721/22 nach Plänen von Philipp Gerlach in Berlin errichteten Garnisonskirche auf. Auch die Längsseitenerschließung innerhalb des übergiebelten Mittelrisalits und die diesen flankierenden Nebeneingänge sind bereits bei dem Berliner Bau zu finden. Der dem Grundriß zufolge vorgesehene und bis zur Dachtraufe geführte massive Kirchturm konnte nicht vollendet werden, da der Nachfolger Wilhelms VIII., Friedrich II., dem Projekt nur geringes Interesse entgegenbrachte. Als Alternativlösung wurde dem Bau 1780 von Simon Louis Du Ry ein dachreiterartiges Uhr- und Glockentürmchen hinzugefügt, das über die Randbebauung des 1767 neu entstandenen Königsplatzes ragte und dadurch gut sichtbar war.
Unter der französischen Herrschaft des Königreichs Westphalen kam es wie bei vielen Kirchenbauten in dieser Zeit zu einer Umnutzung, im vorliegenden Fall als Mehl- und Fouragemagazin (1812-1816). Das bewegliche Inventar wurde vorher an verschiedene Plätze in der Stadt ausgelagert. So gelangte die Kanzel in die Unterneustädter Kirche, die Bänke und andere Gegenstände zunächst auf den Dachboden der lutherischen Kirche, dann ins Lyceum und zuletzt in die Bürgerschule. Erst nach Wiedererrichtung des Kurfürstentums konnte die ziemlich verwüstete Kirche instandgesetzt und am 18. Oktober 1816 erstmals wieder als Hof- und Garnisonkirche genutzt werden. Eine Renovierung von Turm und Uhr fand 1860 statt. Danach setzten bauliche Veränderungen im Innern ein. Im Zweiten Weltkrieg erlitt die Kirche schwere Schäden. Heute werden der Turm und der westliche Teil des ehemaligen Kirchenschiffs gastronomisch genutzt (StAM Best. 12c, Nr. 133; StAM Best. 315e, III, Nr. 3, Kassel, Hofgemeinde; StAM Best. 190a, Kassel, Nr. 304; Holtmeyer 1923, S. 215-217; Both/Vogel 1964, S. 179; Großmann 1996, S. 7).
Die in der Graphischen Sammlung vorhandenen Zeichnungen beziehen sich auf verschiedene Bauphasen der Kasseler Garnisonkirche. Neben den planerischen Entwürfen für den Kirchenbau von Heinrich Christoph Bröckel und denen für den Turmbau von Simon Louis Du Ry behandelt das umfangreichste Konvolut die Planung von Umbaumaßnahmen, die mit einer verbesserten Beleuchtung des Kircheninnern in Zusammenhang stehen. Erste Überlegungen hierzu stellte der verantwortliche Baumeister Johann Conrad Rudolph bereits kurz nach der 'westphälischen' Zeit an. Planung und Durchführung konkreter Maßnahmen zogen sich aber bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts hin. Ein Bestand von insgesamt elf Zeichnungen (GS 14602 - GS 14611, GS 14614) wurde 1950 vom Hessischen Staatsbauamt, Kassel, an die Staatlichen Kunstsammlungen Kassel abgegeben.

Stand: September 2004 [MH]




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