1.75 Lutherkirche


Die Kasseler Lutherkirche wurde als Tochterkirche der älteren lutherischen Gemeindekirche am Graben auf dem seit 1843 aufgelassenen Altstädter Friedhof vor dem Hohen Tor errichtet. Den finanziellen Grundstock für den Neubau des lutherischen Gemeindehauses legte 1858 der Apotheker und Medizinalassessor Gottlieb Ferdinand Fiedler, der aus seinem Nachlaß 89.314 Taler für den Kirchenbau stiftete. Erst 1889 konnte die lutherische Gemeinde das ehemalige Friedhofsareal erwerben. Aus einer engeren Konkurrenz, an der unter anderem der Berliner Baurat Orth und ein namentlich nicht überlieferter Baumeister aus Köln beteiligt waren, ging Hugo Schneider mit seinem Entwurf für einen neogotischen Kirchenbau als Sieger hervor.
Der Baubeginn fällt in das Jahr 1894. Am 21.6.1897 fand die Weihe des fertiggestellten Kirchenbaus statt. Die zunächst nur von einer Personalgemeinde getragene Lutherkirche wurde 1930 nach dem Zusammenschluß der lutherischen und der reformierten Gemeinde zur Parochialkirche (Dehio Hessen 1982, S. 478; Denkmaltopographie 1984, S. 68-72; Stolze 1997/1; Stolze 1997/2).
Während des Luftangriffs am 22. Oktober 1943 wurde der Kirchenbau bis auf den Westturm und östlich angrenzende Bereiche des Mittelschiffs zerstört. Bis 1949 entstand eine Notkirche unter Einbeziehung älterer Bausubstanz, die 1970 zugunsten eines Neubaus niedergelegt wurde. Der Westturm des Schneiderschen Baues ist erhalten und beherbergt heute ein Café.
Hugo Schneiders Entwurf für die Lutherkirche zeigt eine dreischiffige Basilika mit einem mittig vorgelagerten Westturm, der von zwei kleinen Treppentürmen flankiert wird. Dem zweijochig angelegten Mittelschiff ist ein Joch mit zwei seitlich aus der Bauflucht heraustretenden, polygonal abschließenden Nebenräumen, die unter anderem als Konfirmandensäle genutzt wurden, und der mittig eingefaßten Orgelempore vorgeschaltet.
An das Mittelschiff schließt das ebenfalls zweijochig angelegte Querhaus an, das um die Breite der Seitenschiffe aus der Flucht des dreischiffigen Langhauses hinaustritt. Östlich folgt der polygonal geschlossene Chorraum, der von zwei Treppentürmen flankiert und von drei östlich anschließenden Nebenräumen, die die Sakristei, den Küsterraum sowie das Archiv aufnehmen, umgeben ist. Erschlossen wird der Kirchenbau durch das westliche Eingangsportal sowie durch weitere Eingänge in der Ost- und Westfassade des Querhauses.
Der aus weißem Sandstein errichtete Bau folgt in seiner äußeren Gestaltung einer schlichten, frühgotischen Formgebung, die auf kleinteilige Dekorationselemente verzichtet und dem Bau einen monumentalen Charakter verleiht. Demgegenüber weist der Innenraum insbesondere in der Gestaltung der Mittelschiffssäulen eine reichhaltige ornamentale Bauzier auf.
Bestimmt wird der Innenraum durch die Emporen, die im Langhaus die gesamte Breite der Seitenschiffe einnehmen, bevor sie im Bereich des Querhauses an die Nord- und Südfassade zurückgezogen werden. Durch die so aufgeweitete Raumsituation entsteht hier der Eindruck eines Zentralraums.
Innerhalb des Konvoluts des Architekten Hugo Schneider in der Graphischen Sammlung stellt der Bestand zur Lutherkirche mit mehr als 80 Blättern den größten Einzelbestand zu einem Bauwerk dar. Dennoch handelt es sich bei den vorliegenden Blättern nur um einen Bruchteil der ursprünglich zur Lutherkirche angefertigten Zeichnungen, die, wie sich aus der Numerierung einzelner Ausführungspläne erschließen läßt, weit über 700 Blätter umfaßt haben müssen.
Aus dem erhaltenen Bestand lassen sich mindestens drei aufeinanderfolgende Planungsphasen erschließen. Der frühesten Entwurfsphase zuzurechnen sind die Blätter L GS 14932 und L GS 14938 (um 1890), die Aufrisse der Süd-, West- und Ostfassade des Kirchenbaus zeigen, die bis auf die Gestaltung der Querhausfassaden und die Anlage des Mittelschiffs mit zwei Jochen und einem östlich vorgelagerten Annexbau bereits die Grundzüge des später realisierten Kirchenbaus zeigen. Zur zweiten Entwurfsphase gehören die Blätter L GS 14937, L GS 14929 und L GS 18282, die in die Jahre 1891/92 zu datieren sind und die Aufrisse der Nordseite sowie einen Grundriß zeigen. Schneider entwickelte hier Alternativen zur Dachgestaltung des Querhauses sowie zu den östlichen Anbauten.
Zur letzten Planungsphase müssen die Blätter L GS 14935 und L GS 14936 aus dem Jahr 1891 sowie L GS 14930, L GS 14931, L GS 14939, L GS 14985, L GS 18255, L GS 18269, L GS 18277 und L GS 18280 aus dem Jahr 1892 gezählt werden, auf denen in Auf- und Grundrissen die Disposition des ausgeführten Kirchenbaus ausgearbeitet ist. Die verbleibenden Zeichnungen zeigen Entwürfe zur Kirchenausstattung sowie Werkrisse der Bauzierelemente und vereinzelt Ausführungspläne für Details des Turmes und der Querhausgiebel.

Stand: September 2007 [LK]




© Hessen Kassel Heritage 2024
Datenschutzhinweis | Impressum