1.81 Synagoge in der Unteren Königsstr.


Die komplizierte Baugeschichte der Kasseler Synagoge ist seit dem grundlegenden Aufsatz von Rudolph Hallo, der neben den Archivalien im Hessischen Staatsarchiv Marburg auch noch die Aktenbestände der jüdischen Gemeinde einsehen konnte, mehrfach ausführlich dargestellt worden (Hallo 1983, S. 545-568; Hammer-Schenk 1988, S. 177-184; Schuchard 2000). Auf besonderes Interesse stieß dabei die in den schriftlichen Quellen überlieferte architekturtheoretische Diskussion über den für diese besondere Bauaufgabe angemessenen Baustil.
Bereits unter Landgraf Friedrich II. und später in der 'westphälischen' Zeit war von seiten des Hofes versucht worden, die jüdische Gemeinde anzuregen, die zu klein gewordene Synagoge am Töpfenmarkt durch einen repräsentativen Neubau zu ersetzen, der stadtplanerisch Akzente setzten sollte. Die Gemeinde scheute jedoch die Kosten eines Neubaus. Erst als die kurfürstliche Regierung im August 1827 die Synagoge am Töpfenmarkt wegen Baufälligkeit schloß, entschied sich der Gemeindevorstand im September 1828 für einen Neubau und bat den Kurfürsten um unentgeltliche Zuweisung eines Bauplatzes. Das vom Kurfürsten vorgeschlagene, prominent gelegene Grundstück am Artillerielaboratorium war der Gemeinde jedoch zu abseitig, weshalb sie im Oktober 1830 den ehemaligen Wolffschen Garten am Holländischen Tor erwarb. Zum Architekten bestimmte sie zunächst Oberbaumeister Adolph Otto Carl Georg Schuchard. 1832 legte er die ersten Entwürfe vor, von denen sich nur ein Lageplan erhalten hat (L GS 13539). Gegen den von Schuchard vorgeschlagenen Baustil brachte das Innenministerium Bedenken vor und forderte deshalb die Oberbaudirektion auf, neue Entwürfe zu erarbeiten. Von den zahlreichen Vorschlägen, die in den Bauakten zwar erwähnt, aber nicht bestimmten Architekten zugeordnet werden, haben sich nur wenige erhalten. Wie aus den Quellen hervorgeht, waren die Entwürfe in unterschiedlichen Stilen gehalten. Das Spektrum reichte von ägyptisierenden Bauformen, wie sie vom Ministerium favorisiert wurden, über klassizistische, neogotische oder maurische Entwurfselemente bis hin zum Rundbogenstil. Keiner der Entwürfe konnte die Gemeinde, die schon aus Kostengründen einen schlichten Bau wünschte, und das Innenministerium, das eine architektonisch anspruchsvolle Lösung anstrebte, gleichermaßen überzeugen. In dieser Situation scheint Julius Eugen Ruhl, der seit 1831 die Leitung des Hofbauwesens unter sich hatte, Anfang des Jahres 1834 von der Regierung oder dem Kurprinzen gebeten worden zu sein, seinerseits einen Entwurf für die Synagoge zu erarbeiten. Die beiden Entwurfszeichnungen (L GS 12414 u. L GS 12415) mit Grundriß, Quer- und Längsschnitt sowie Aufriß, die im März vom Ministerium an die Oberbaudirektion gesandt und anschließend den Vorstehern der jüdischen Gemeinde zur Begutachtung übergeben wurden, gehören zu den wenigen Blättern des langwierigen Entwurfs- und Entscheidungsprozesses, die sich in der Graphischen Sammlung erhalten haben. Ein ausführlicher Kostenvoranschlag, den Ruhl am 25. April 1834 nachreichte, sowie eine Liste vom 8. Juni 1834 mit den Besonderheiten, die bei Ausführung des Gebäudes zu beachten wären, erläutern die beiden Zeichnungen, zu denen unpublizierte vorbereitende Skizzen im Bestand der Graphischen Sammlung gefunden wurden (LGS 13711 - L GS 13714).
Am 1. Oktober 1834 wurden Ruhl die Pläne zurückgeschickt: "Weil uns [den Gemeindeältesten] diese Zugrundelegung, wie es scheint, moresker Bauformen der Bestimmung des Gebäudes sowohl in kunstgeschichtlicher als in unmittelbar auf den Zweck gerichteter Hinsicht nicht angemessen däucht. […] Wir würden indes auf diese Rücksichten minderen Werth legen, wenn nicht zugleich a) besonders die eigenthümliche zeltförmige Construction der Kuppel dem Gebäude ein, in der Umgebung aller anderen vaterländischen Bauten, so ausfallendes Ansehen geben würde […]" (Schreiben der Gemeindeältesten vom 4.8.1834, zit. nach Hammer-Schenk 1988, S. 179). Die Anspielungen auf maurisch-arabische Architekturformen, die Ruhl gewählt hatte, um auf die besondere Funktion des Gebäudes aufmerksam zu machen, fand demnach nicht die Zustimmung der Gemeinde, die gerade zur Bedingung gemacht hatte, daß sich der Bau der Volkssitte und den örtlichen Traditionen einfügen solle. Ausgeführt wurde die Synagoge schließlich 1836 nach Plänen des jüdischen Architekten Albrecht Rosengarten.
Bislang unklar ist, wann und mit welchem Ziel Ruhl eine Alternative zu seinem Synagogenentwurf im maurischen Stil erarbeitete, der sich gleichfalls in der Graphischen Sammlung befindet (L GS 12412 u. L GS 12413). Auch zu diesen beiden Entwürfen konnten mehrere Skizzen ausgemacht werden, die z. T. erst jetzt diesem Projekt zugeordnet wurden (L GS 13658 - L GS 13661, GS 19383 - GS 19386).

Stand: August 2007 [CL]




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