1.84 Karlsaue


Bereits 1480 wird ein Baumgarten auf der Spitze der Fuldainsel unterhalb der Burg der Landgrafen in Kassel erwähnt. Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel (1532-1592) ließ hier ab 1568 einen Lustgarten einrichten, dessen botanische Vielfalt weithin berühmt war. Es handelte sich dabei um einen rechteckigen Renaissancegarten, der symmetrisch in Felder unterteilt war. Wichtiger Bestandteil der Anlage war damals ein großes Lusthaus, das allerdings 1697 abgebrochen wurde. Landgraf Moritz der Gelehrte (1572-1632) vereinnahmte den Garten als "Moritzaue" und plante einen großzügigen Ausbau, der aber aufgrund des Dreißigjährigen Krieges nicht verwirklicht werden konnte (vgl. Hanschke 1991; Becker 1996).
Unter Landgraf Karl (1670-1730), dessen Namen der Garten bis heute trägt, kam es ab dem Ende des 17. Jahrhunderts zu einem groß angelegten Um- und Ausbau der Anlage in einen barocken Park, der die gesamte Fuldainsel einnahm und das Aufschütten eines großen Dammes zum Schutz vor Überflutungen nötig machte. 1711 erwarb der Landgraf die benötigten Grundstücke. Da ihm die Arbeiten zu langsam vorangingen, wurden ab 1722 ganze Soldatenregimenter in die Aue kommandiert. Ausgangspunkt der sich fächerförmig erweiternden, von Alleen durchzogenen und von Kanälen gerahmten Anlage war die 1730 fertiggestellte Orangerie anstelle des alten Lusthauses. Ihr zur Seite gestellt wurde der kleine quadratische Bau des "Marmorbades". Den westlichen Abschluß des großen Gartens bildete das kleine Bassin, dessen Insel den Namen "Siebenbergen" erhielt. An den seitlichen Flanken wurden jenseits der Kanäle Obst- und Küchengärten angelegt. Alle Wasserstraßen und Bassins waren mit Gondeln befahrbar, eine beliebte Belustigung des landgräflichen Hofes (Bergmeyer 1999, S. 211; Holtmeyer, 1923, S. 362).
Nach dem Siebenjährigen Krieg, der einige Schäden mit sich gebracht hatte, wurde der Orangeriegarten vor der Südwestfront der Orangerie nach englischem Vorbild in ein Rasenparterre, das "Bowlinggreen", umgewandelt. 1765 bis 1770 ließ Landgraf Friedrich II. (1720-1785) als Pendant zum Marmorbad den Küchenpavillon errichten. Bis 1781 wurden die sieben künstlich aufgeschütteten Hügel östlich des großen Bassins angelegt. Zu dieser Zeit zählte man auch die Gärten am Aueabhang unterhalb der Oberneustadt und die 1764 angelegte Menagerie im ehemaligen Garten des Prinzen Maximilian zum Auegarten (Holtmeyer 1923, S. 359).
Um 1790 wurde die geometrische Ordnung des Gartens unter Landgraf Wilhelm IX., dem Zeitgeschmack folgend, allmählich umgestaltet und durch irreguläre Strukturen ersetzt. In seinen Memoiren notiert Wilhelm für das Jahr 1787: "In jenem Winter begann ich auch damit, die Aue neu zu gestalten, die durch eine Anzahl unnützer Hecken und Alleen zerschnitten war" (Hessen 1996, S. 255). 1791 berichtete der Hofgärtner Daniel August Schwarzkopf, daß Dekorationen aus dem Weißensteiner Park in die Aue versetzt worden seien (Brief an Hirschfeld; vgl. Dittscheid 1987, S. 307). 1793 erhielt er die Oberaufsicht in der Aue, um die Umgestaltungsarbeiten nach Wilhelms Vorstellungen zu leiten. Zu einer einheitlichen Neugestaltung kam es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Erst der botanisch umfassend gebildete Wilhelm Hentze, der später zum Hofgartendirektor ernannt wurde, führte ab 1822 die Umgestaltung in einen englischen Landschaftspark unter Beibehaltung der barocken Grundstruktur konsequent zu Ende, wobei er zahlreiche Neuanpflanzungen vornahm (Modrow/Gröschel 2002). 1866 wurden sämtliche hessischen Parkanlagen von der preußischen Verwaltung übernommen. In der Folge wurden die Wirtschaftsgärten aufgelöst und als Baumpflanzungen mit dem Park vereint.
Die dortige Menagerie Landgraf Friedrichs II. hatte bereits einen Vorläufer unter Landgraf Karl, der 1727 von seinem Sohn Maximilian dessen Lusthaus und Garten am Rande des Aueparks unterhalb des Weinbergs erwarb (Holtmeyer 1923, S. 406f.; Philippi 1976, S. 614). Diese wurde nach dem Tod des Landgrafen jedoch wieder aufgelöst. Das Anwesen kam 1732 als Geschenk von Karls Sohn und Nachfolger Friedrich erneut an den Prinzen Maximilian und von diesem um 1745 wiederum in herrschaftlichen Besitz. Landgraf Friedrich II. ließ hier ab 1764 nochmals eine Menagerie anlegen. Sie bestand während der gesamten Regierungszeit des Fürsten und wurde von diesem mit größerem finanziellen Engagement gefördert. Die Einrichtung gehörte schnell zu den besonderen Sehenswürdigkeiten der Residenzstadt und hatte in zeitgenössischen Stadtbeschreibungen und Reiseberichten einen festen Platz (vgl. Engelhard 1778, S. 136; Günderode 1781, S. 69). Das bekannteste Tier war der Elefant, dessen Skelett später durch Goethes morphologische Untersuchungen zum Zwischenkieferknochen berühmt wurde. Landgraf Wilhelm IX. schloß die Menagerie nach 1785 wieder, beließ ihre Gartenanlagen jedoch noch längere Zeit im alten Zustand.
Die Zeichnung von Simon Louis Du Ry aus dem Jahr 1793 (Marb. Dep. 254,5) zeigt noch die bereits auf dem Stadtplan von Friedrich Wilhelm Selig von 1781 wiedergegebene Form. Zwei andere Blätter Du Rys (L GS 12790 u. L GS 13524) stammen dagegen aus der Gründungsphase der Anlage 1764. Obwohl die dort projektierten Bauten schließlich anders ausgeführt wurden, lassen sich diese beiden Blätter mit Sicherheit den ersten Planungen für den Tiergarten am Rande des Auegartens zuordnen, und sind nicht, wie Hallo für möglich gehalten hatte, für Wilhelmsthal entstanden (Hallo 1930/2, S. 73f., Abb. 22 u. 23; Modrow 1998, Abb. S. 64).

Stand: September 2004 [UH und GF]




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