3.58 Hofgeismar-Gesundbrunnen


In der Graphischen Sammlung werden 52 Architekturzeichnungen und Gartenpläne zum Gesundbrunnen bei Hofgeismar aufbewahrt. Neben den Archivalien und Zeichnungen im Hessischen Staatsarchiv Marburg ist dieser Bestand die zweite wesentliche Quelle zur Geschichte der früheren Badeanlage (bei der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen befinden sich lediglich zwei Zeichnungen des Erbprinzen Wilhelm von 1790 sowie eine Ansicht von Ludwig Philipp Strack; frdl. Mitteilung von Ulrike Paul; vgl. dazu auch Schuchard 1978, S. 66, Anm. 20; Burmeister/Röhring 1989, Abb. S. 42 u. S. 25).
Die Blätter wurden in der Forschung lange Zeit nicht ausreichend berücksichtigt und gewürdigt, da der überwiegende Teil bis 1980 bzw. 2000 wenig beachtet im Archiv der Außenstelle Marburg des Landesamts für Denkmalpflege Hessen aufbewahrt war (zur Geschichte des Gesundbrunnens vgl. Pfaff 1954; Bott 1975; Bott 1978; Nold 1978; Schuchard 1978; Baeumerth 1984; Bott 1984; Burmeister/Röhring 1989; Röhring 1989/2; Putschky 2000). Angelika Nold und Jutta Schuchard haben einige der Pläne bereits 1978 erstmals ausgewertet (Nold 1978; Schuchard 1978), gleichwohl sind bis heute manche Fragen zur Baugeschichte der einzelnen Gebäude wie auch des Parks offengeblieben.
Die baulichen Anfänge des nordöstlich von Hofgeismar gelegenen Gesundbrunnen gehen auf Bestrebungen Landgraf Karls zurück, die schon seit 1639 bekannte, aber in Vergessenheit geratene Heilquelle durch Errichtung eines kleinen Brunnengebäudes sowie mehrerer Badehäuser aufzuwerten. Von der zunächst konzipierten Anlage eines vom Landgrafen "selbst erfundenen Octogone […], so um den Brunnen herumgeführt, und auf den 4 Ecken 4 Bade-Häuser" (Wagner 1727; zit. nach Bott 1975, S. 2), wurden von 1728-1732 lediglich ein kleiner achteckiger Brunnenbau und das sog. Karlsbad, ein zweigeschossiger Fachwerkbau mit Mansarddach, verwirklicht. Während der Regierungszeit Landgraf Friedrichs I., König von Schweden, ließ der Statthalter Wilhelm Mitte der 1740er Jahre das nach ihm benannten "Wilhelmsbad" sowie einen Marstall hinzufügen.
Wie zwei bisher nicht beachtete Entwurfszeichnungen für Neubauten von Michel Leveilly und wahrscheinlich von Johann Georg Fünck aus der Zeit um 1750 in der Graphischen Sammlung belegen (GS 15692 u. Marb. Dep. II, 229), war an einen weiteren Ausbau gedacht, der jedoch aus unbekannten Gründen unterblieb. Ein übergreifendes Planungskonzept ist heute zwar nicht mehr bekannt, doch könnte bereits zu diesem Zeitpunkt an ein Pendant zum Wilhelmsbad gedacht gewesen sein (vgl. Röhring 1989, S. 14). Dieses Gebäude ("Friedrichsbad") konnte dann allerdings erst unter Landgraf Friedrich II. 1770 verwirklicht werden.
Friedrich II. initiierte ab 1764 größere bauliche Aktivitäten, die zunächst unter der Leitung des Oberstleutnants, Militäringenieurs und Bergrats Johann Ludwig Splittorf standen. Dieser, seit 1744 in der Festung Rheinfels stationiert und dort mit Bauaufgaben befaßt (Has 1913, S. 755), hatte zu Beginn der 1750er Jahre die Modernisierungsmaßnahmen im hessischen Teil von Schlangenbad geleitet. Dort wurde er ab 1763 erneut eingesetzt, so daß er gleichzeitig für zwei Badeorte der Landgrafschaft tätig war (zur Tätigkeit Splittorffs in Gesundbrunnen vgl. Bott 1975, S. 4; Bott 1978; Katalog Kassel 1979, S. 83 u. 216f.; zu Schlangenbad vgl. Bitz 1989, S. 207-212). Beide Projekte erwiesen sich aus verschiedenen Gründen als problematisch und mußten von Splittorf schließlich nach seiner Demissionierung 1769 unvollendet an seine Nachfolger übergeben werden. In Gesundbrunnen löste ihn der Oberst und spätere Baudirektor Johann Wilhelm von Gohr ab (Bott 1978, S. 62). Trotz der genannten Schwierigkeiten darf man jedoch die grundlegende Konzeption des Gesundbrunnens Splittorf zuschreiben. Ein bisher kaum beachteter Entwurf für die Anlage, der von dem Militäringenieur selbst stammen dürfte (StAM P II 1727; vgl. Putschky 2000, S. 223 u. 274, Abb. 17), legt dies nahe. Es bleibt der Spezialforschung vorbehalten, die bislang nicht ausreichend gewürdigte Rolle Splittorfs für die Erweiterungsplanungen aufzuklären.
Bis in die 1770er Jahre entstand die schloßartige Hauptbaugruppe mit einem markanten überkuppelten Brunnengebäude, das durch zweigeschossige viertelkreisförmige Galerien mit dem älteren Wilhelmsbad und dem neuen Friedrichsbad verbunden war. Zur weiteren Steigerung der Attraktivität des Ortes erfolgte die Vergrößerung des Karlsbades um das Doppelte sowie die Einrichtung eines kleinen Komödienhauses in Verbindung mit der Erbauung eines neuen herrschaftlichen Marstalls. Des weiteren wurde die Gartenanlage vergrößert und mit einem Heckentheater ausgestattet sowie durch Anpflanzung eines "englischen Bosketts" dem Zeitgeschmack angepaßt. Der um 1780 erreichte Stand ist sowohl durch Lagepläne (vgl. Marb. Dep. 255a) wie durch Stichdarstellungen von Wolfgang Christoph Mayr nach Johann Heinrich Tischbein überliefert. Ergänzend kommen ausführliche zeitgenössische Beschreibungen des Gesundbrunnens durch Christian Cay Lorenz Hirschfeld in seiner "Theorie der Gartenkunst" (Hirschfeld 1779-1785, Bd. II, S. 95-101) oder Johann Christian Martin hinzu (Martin 1789).
Nach seinem Regierungsantritt 1785 ließ Landgraf Wilhelm IX. umfassende Veränderungen am Baubestand und im Park vornehmen. Letzterer wurde nochmals erweitert und nach Gesichtspunkten des englischen Landschaftsgartens umgestaltet. Im nordöstlichen Bereich entstand, räumlich von den bestehenden Badegebäuden separiert, das Schlößchen Montchéri, später Schönburg, für den Fürsten. In unmittelbarer Nähe wurde als eine der letzten Arbeiten 1804/05 von Oberbaudirektor Heinrich Christoph Jussow ein Teich angelegt. Als weiterer wesentlicher Eingriff erfolgte der Abbruch des Splittorfschen Brunnenhauses samt der Verbindungsgalerien, die 1790-1792 durch den noch heute vorhandenen freistehenden Monopteros nach einem Entwurf von Baudirektor Simon Louis Du Ry ersetzt wurden (vgl. Weibezahn 1975, S. 58). Die Planungsgenese des neuen Brunnentempels ist anhand eines bisher unbekannt gebliebenen bemerkenswerten Konvoluts von sechs eigenhändigen Zeichnungen Du Rys gut nachvollziehbar. Am Ende der dabei zu beobachtenden schrittweisen Reduzierung des Projekts steht der von Landgraf Wilhelm IX. approbierte Ausführungsentwurf Marb. Dep. II, 211.
Landgraf Wilhelm IX. ließ zur Dokumentation der durch ihn veranlaßten Umgestaltungen des Gesundbrunnens zwölf Zeichnungen und zwei Kupferstiche in einem "Plans u. Prospecte / vom / Bad Hofgeismar und / Schloß Schoenburg." (Marb. Dep. 255a - Marb. Dep. 255m) betitelten Klebeband zusammenfügen (vgl. Nold 1978, S. 54 u. Schuchard 1978, S. 63). Die bis heute zu wenig beachteten Blätter, die zwischen 1787 und 1820 entstanden, geben einen guten Überblick über die Entwicklung der Anlage in der Regierungszeit Wilhelms IX. Wie in den einzelnen Katalogtexten dargelegt, konnten im Rahmen der Bearbeitung einige in der Literatur bestehende Fehlzuschreibungen und -datierungen korrigiert werden. So kann etwa der bisher in die 1820er Jahre eingeordnete Lageplan des Hofgärtners Wilhelm Hentze (Marb. Dep. 255l; vgl. Gröschel 1994, S. 121, Abb. 2 u. 3; Gröschel 2000, S. 12 u. 14f., Abb. 11 u. 12 sowie danach Modrow 1998, S. 152 mit Abb.) nun eindeutig früher datiert werden.
Als weitere zusammengehörige Gruppe erweist sich eine Anzahl von Bauaufnahmen, die in den 1820er Jahren in der Regierungszeit Kurfürst Wilhelms II. angefertigt wurden. Darunter fallen zwei repräsentativ gestaltete großformatige Sammelbände auf, in denen der Baumeister Johann Daniel Engelhard 1821 zum einen "Baurisse vom Friedrichsbade vom Marstalle und von Belvedere am Brunnen bey Hofgeismar" vereinigte (Marb. Dep. II, 222 - Marb. Dep. II, 227), zum anderen zwei Grundrisse und eine Ansicht des Schlößchens Schönburg mit einem Verbesserungsvorschlag für dessen Hauptfassade verknüpfte (Marb. Dep. II, 206 - Marb. Dep. II, 209). Die beiden Bände entstanden, nachdem Engelhard im Januar 1820 Nachfolger des Baumeisters Johann Conrad Rudolph im Baudistrikt Hofgeismar geworden war (StAM Best. 5, 11407, fol. 53). Damit fielen auch die Bauten des Gesundbrunnens in Engelhards Zuständigkeitsbereich. Jedoch entschied Kurfürst Wilhelm I. im Juli 1820, daß diese "ausnahmsweise" noch weiter von Rudolph betreut werden sollten (StAM Best. 5, 11407, fol. 62). Möglicherweise legte Engelhard dann nach dem Regierungsantritt des Kurfürsten Wilhelm II. 1821 die Zeichnungen vor und fügte den Veränderungsvorschlag für das Schloß Schönburg (Marb. Dep. II, 209) bei. Die Hoffnung, sich damit dem baufreudigen neuen Fürsten zu empfehlen, trog jedoch - das fürstliche Gebäude wurde zwar ab 1823 umgebaut; diese Aufgabe aber dem von Wilhelm II. bevorzugten Oberhofbaumeister Johann Conrad Bromeis übertragen.
Nachdem der Badebetrieb 1866 eingestellt worden war, wurden 1889 im Wilhelmsbad eine Landwirtschaftliche Winterschule und 1890/91 im Friedrichsbad das evangelische Predigerseminar eingerichtet. Bei der Vorbereitung verwendete man seitens der zuständigen Baubehörde viele der älteren Bauaufnahmen aus der Zeit zwischen etwa 1820 und 1830, darunter auch den erstgenannten Band von Engelhard. So erklären sich die zahlreichen dort meist flüchtig mit Graphit in die älteren Zeichnungen eingetragenen Maßangaben im metrischen System oder zu projektierten baulichen Veränderungen in den Gebäuden.

Stand: Mai 2005 [GF]




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