9.9 Unbekannte Orte


Bei dem in Kassel aufbewahrten umfangreichen Konvolut von niederländischen Architekturzeichnungen handelt es sich um den Bestand aus einem inzwischen aufgelösten Klebeband (Codex Fol. A 37), der um 1730 aus dem Besitz des niederländischen Architekten Pieter Jacobsz. Roman (1676 - nach 1733) an den Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel (1682-1737) gekommen war. Wilhelm VIII. stand persönlich in engen Beziehungen zu den Niederlanden: Er war General der holländischen Kavallerie, ab 1712 Gouverneur von Breda und von 1723 bis 1748 Gouverneur von Maastricht. Für Schloß Tillburg bei Breda hatte er um 1715 von Robert de Cotte Entwürfe für einen Schloßneubau anfertigen lassen (vgl. Rauch-Elkan 1958). Diese Verbundenheit mit Holland und das persönliche Interesse an Architektur nutzte der vorher in preußischen Diensten tätige Roman, als er um 1720 an den Hof in Kassel kam und den damaligen Prinzen Wilhelm kennenlernte (Hallo 1930/2, S. 65). Roman vermachte Wilhelm im Laufe der Jahre verschiedene Codices (Verzeichnis der Codices in Hallo 1930/2, S. 68f.), die er vermutlich zum Teil aus dem Nachlaß seines Vaters Jacob Roman (1640-1716), der ebenfalls Architekt war, übernommen hatte.
Der Codex enthielt ursprünglich neben Architekturzeichnungen auch militärische Pläne und Zeichnungen sowie Kupferstiche (aus der "Architectura Civilis" von Johann Wilhelm, Frankfurt 1662, sowie aus den Publikationen des Hubertus Quellinus), die in der Regel recht willkürlich zusammengefügt oder sogar zu mehreren auf blaues Papier geklebt worden waren.
Die Architekturzeichnungen (insgesamt 89 Blätter) beschäftigen sich zum Teil mit Gebäuden aus dem Besitz des Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679), der hohe Ämter in niederländischen und brandenburgischen Diensten bekleidete. Eindeutig identifizierbar sind Haus und Garten des Mauritshuis in Den Haag, der Prinzenhof in Kleve sowie das Palais Vrijburg, die Residenz des Fürsten als Gouverneur der Westindischen Compagnie in Brasilien. Dazu kommen Zeichnungen weiterer Gebäude aus anderem Zusammenhang, wobei vor allem der bisher nicht bekannte Dachgrundriß von Schloß Neercanne bei Maastricht bemerkenswert ist. Die früheste Datierung im Zusammenhang des Codex stammt von 1645 (zwei Einzelblätter), die weiteren Jahreszahlen (auf 32 Blättern) umfassen die Zeitspanne von 1668 bis 1688.
Die Zeichnungen vom Mauritshuis stammen mit großer Wahrscheinlichkeit von Maurits Post, ebenso ein Teil der Blätter zum Prinzenhof, die zum Teil sogar signiert sind. Die übrigen kann man überwiegend Daniel Wolf von Dopff zuschreiben, der ebenfalls einige Zeichnungen des Bestands signiert hat. Die signifikanten Übereinstimmungen bei Beschriftung und Datierung, die in der Regel nach einem bestimmten Muster erfolgten, machen es zudem möglich, diesen Ingenieur-Architekten, der in den Niederlanden als Baron von Dopff, General und Gouverneur von Maastricht bekannt ist, als Zeichner einer Vielzahl von Blättern, die u. a. auch militärische Gebäude zum Thema haben, zu identifizieren. Der 1683 geadelte Militäringenieur von Dopff trat bereits in jungen Jahren in Hanau ins Militär ein, kam 1671 als Architekt in den Dienst von Johann Moritz von Nassau-Siegen und machte ab 1672 eine erfolgreiche Militärkarriere im Dienst der niederländischen Generalstaaten bis hin zum Kommandanten und Gouverneur von Maastricht. Aufgrund der inhaltlichen Zusammensetzung des ehemaligen Klebebandes erscheint es naheliegend, daß es sich um einen zusammenhängenden Bestand aus seinem Besitz bzw. seinem Nachlaß handelt, der nach seinem Tod an Pieter Jacobsz. Roman kam und vermutlich erst dann in Unkenntnis des originalen Zusammenhangs zu einem Klebeband zusammengefügt wurde.

Stand: September 2004, überarbeitet Mai 2005 [UH]




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