2.3.18.2 - Kassel-Wilhelmshöhe, Schloß, Corps de Logis, Entwurf zu einem Armsessel "à la Reine" für das Kabinett des zweiten Appartements, Vorder- und Seitenansicht (recto); zwei Ornamentdetails (verso)



2.3.18.2 - Kassel-Wilhelmshöhe, Schloß, Corps de Logis, Entwurf zu einem Armsessel "à la Reine" für das Kabinett des zweiten Appartements, Vorder- und Seitenansicht (recto); zwei Ornamentdetails (verso)


Inventar Nr.: GS 6127
Bezeichnung: Kassel-Wilhelmshöhe, Schloß, Corps de Logis, Entwurf zu einem Armsessel "à la Reine" für das Kabinett des zweiten Appartements, Vorder- und Seitenansicht (recto); zwei Ornamentdetails (verso)
Künstler: Heinrich Christoph Jussow (1754 - 1825)
Datierung: 1798-1800
Geogr. Bezug: Kassel-Wilhelmshöhe
Technik: Graphit, Feder in Grau, grau, hellblau und zartrot aquarelliert
Träger: Papier
Wasserzeichen: keine Angabe
Maße: 16,6 x 16,3 cm (Blattmaß)
Maßstab: -
Beschriftungen: unten rechts: "cabinet des 2t apartements" (Graphit)


Katalogtext:
Jussow gibt den Armsessel in Vorder- und Seitenansicht wieder und liefert durch Angabe der Gesamtstruktur, der Ornamentgliederung und der Ornamentdetails präzise Angaben für den Handwerker bzw. den Bildhauer. Die Mittelachse trennt die beiden Hälften des Alternativentwurfs, der die Ornamentvarianten zur Entscheidung vor Augen führt.
Der Armsessel vertritt den klassischen Typus eines Fauteuil "à la Reine" und weist die frühklassizistische Gliederung mit geraden Zargen, rechteckiger Rückenlehne und konischen Beinen auf (zum Möbel selbst vgl. Himmelheber 1973, S. 56). Die Profilierung des Rahmens wiederholt sich an der Zarge. Sitz, Lehne und die Manschetten der Armlehnen sind gepolstert. Die Beine verjüngen sich nach unten und schließen nach oben mit einer Einschnürung zwischen Wulst und Schaftring ab. Mit Rosetten verzierte Würfel markieren die Verbindungspunkte zwischen der Zarge und den geschwungen zu denkenden Armstützen. Die Armlehnen enden in gedrückten Voluten und laufen im Rückenrahmen aus. Die geschnitzten Ornamente sind dem antikisierenden Formenrepertoire entnommen.
Diesen Grundtypus zeigt eine Reihe von Entwürfen Jussows (s. GS 6128, GS 6129, GS 6130, GS 6131, GS 6132, GS 6133, GS 6134), die sich allein im Muster der Verzierungen unterscheiden.
Bei diesem Beispiel zeigt die linke Variante ein Bellflowerband als geschnitzte Rahmenverzierung und ein Bein mit gedrehten Kanneluren. Bewegte und ruhige Zierformen des Rahmens bzw. der Füße werden gegeneinandergesetzt. Rechts ist die umgekehrte Variante zu sehen mit dem belebten Mäanderband und einem gerade kannelierten Fuß, der auf einer Kugel ruht. Laut handschriftlicher Notiz waren die Entwürfe als Vorschlag für das Kabinett des zweiten Appartements eingebracht.
Als Bildhauermöbel wurden die Stücke als Eichen- oder Buchenholzkorpus von einem Schreiner angefertigt, während es vornehmlich die Aufgabe des Hofbildhauers war, die Dekorationen des Gestells auszuführen. So wurden etwa die Ornamente geschnitzt und hernach aufgeklebt. Durch Kreidegrund und Übermalung wurden sie wieder mit dem Korpus verbunden. Für die Möbel lieferten vermutlich Nikolaus Vallois bis 1790 und dann ab 1790 Johann Christian Ruhl die Bildhauerarbeiten (Himmelheber 1973, Abb. 127; Bleibaum 1926, S. 16).
Jussow hat sich bei seinen Entwürfen eng an den französischen Stuhltypus angelehnt, den Georges Jacob (1739-1814) für den Hof von Versailles unter Marie Antoinette entwickelt hatte. Das Rahmenwerk der Stühle wie auch der anderen Möbel Jacobs ist klar und einfach in der Konstruktion, aber reich mit delikatem Schnitzwerk dekoriert. Das eindeutige Rechteck der Stuhllehnen, das Jussow zitiert, verwendete Jacob unter der Bezeichnung "carrè à la Reine" selbst recht häufig (Feulner 1980, S. 276). In Frankreich wurde der Typus bis zur Französischen Revolution zum gängigen Möbel und fand in ganz Europa weite Verbreitung. Der Möbelstil wurde auch nach Deutschland übertragen und lebte bis in das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fort. Neben den Möbeln, die George Jacob 1780/82 für Karlsberg geliefert hat und die heute in der Münchener Residenz aufgestellt sind, wurden ähnliche Garnituren in Deutschland von Menageot und Peyre für die Möblierung des Koblenzer Schlosses in Vorschlag gebracht, die in der Zeit zwischen 1780 und 1789 entstanden ist (vgl. Hojer/Ottomeyer 1995; Katalog Koblenz 1986).
Von den im Nachlaß Jussows befindlichen Entwürfen für Sitzmöbel ist keines in Ausführung vorhanden. Eine Rekonstruktion ihrer ehemaligen Aufstellung ist nicht möglich, da die Stühle ohne ausgezeichnete Merkmale sind, die sich in den Möbelinventaren wiederfänden. Die Entwürfe für den Mittelbau weisen eine leichtere, reduzierte Ornamentik in weniger erhabener Reliefierung gegenüber jenen für den Weißensteinflügel auf. Hier wurden die üppigeren, schwereren Motive des gôut antique, dem die früheren Möbel noch verpflichtet waren, überwunden (vgl. GS 6126). Jussow brachte bei den Entwürfen für die Möblierung des Mittelbaus das französische Vorbild in den rigiden Formen des Klassizismus in Deutschland zum Ausdruck. Bezeichnend dafür ist unter anderem die additive Geometrisierung mit der quadratischen Formulierung des Rückens und die stark stilisierten, aus der antiken Bauskulptur hergeleiteten Ornamente. Diese puristische architektonische Grundhaltung entwickelte die französischen Vorbilder weiter, wobei das Ornament klar von der Struktur abgelöst und aufgesetzt in den vorgegebenen Feldern erscheint.
Die in Wilhelmshöhe erhaltenen, gefertigten Möbel sind allesamt Varianten zu den Entwürfen und in ihren Ornamentformen noch weiter reduziert.
Der Entwurf auf der Rückseite zeigt eine Seitenansicht des auf der Vorderseite dargestellten Armsessels.

Text übernommen aus Katalog Kassel 1999/CD-Rom [ST]


Literatur:
Katalog Kassel 1999/CD-Rom; Katalog Kassel 1999/1, S. 150, Kat.Nr. 33


Letzte Aktualisierung: 09.04.2015



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