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5.4.1.1 - Coulommiers-en-Brie, Entwurf zum Schloß, Grundriß



5.4.1.1 - Coulommiers-en-Brie, Entwurf zum Schloß, Grundriß


Inventar Nr.: GS 7022
Bezeichnung: Coulommiers-en-Brie, Entwurf zum Schloß, Grundriß
Künstler: Charles Du Ry (1568 - 1655), Architekt/-in, fraglich
Datierung: um 1617
Geogr. Bezug: Coulommiers
Technik: Graphit, Feder in Braun
Träger: Papier
Wasserzeichen: "C H O" (?)
Maße: 44,1 x 42,6 cm (Blattmaß)
Maßstab: bezifferter Maßstab in "Toises"
Beschriftungen: verso: "Coullommie" (Feder in Braun)
verso: "Coullomier" (Feder in Braun)


Katalogtext:
Das Schloß in Coulommiers-en-Brie wurde 1613 nach Entwürfen von Salomon de Brosse für Katharina von Gonzaga, Herzogin von Longueville, begonnen, wegen verschiedener ungünstiger Umstände jedoch nie vollendet und schließlich 1738 abgebrochen (Coope 1972, S. 13f. u. S. 93-109). Das Bauwerk gehört mit dem ein Jahr früher angefangenen Schloß Blérancourt und besonders dem Hôtel du Luxembourg in Paris (ab 1615), dem Hauptwerk von de Brosse, zu den wichtigsten Projekten dieses Architekten, die eine besondere entwicklungsgeschichtliche Stellung im französischen Schloßbau besitzen.
Der Grundriß des vorliegenden Blattes zeigt einen Zustand, der in die Zeit vor 1631 datiert werden kann, als François Mansart nach dem Tod des Architekten 1626 zusammen mit Charles Du Ry, dem Schwager und Hauptmitarbeiter de Brosses (zu Charles Du Ry und der Verwandtschaft mit Salomon de Brosse vgl. Gady 2002 und Leproux 1996), Änderungen am ursprünglichen Plan vornahm. So konzipierte Mansart anstelle der anspruchsvollen Eingangsfront mit einem markanten dreigeschossigen Mittelpavillon mit bekrönender Kuppel eine wesentlich reduziertere Lösung mit zwei kleinen, das Tor flankierenden Pavillons. Auf diesen Architekten gehen weiterhin unter anderem auch ein großes Treppenhaus im Nordflügel und wahrscheinlich der Baderaum im südwestlichen Eckpavillon zurück (Coope 1972, S. 94f.). Den Zustand von Coulommiers nach den Eingriffen Mansarts gibt ein Grundriß des späteren 17. Jahrhunderts in der Bibliothèque Nationale wieder (Coope 1972, Abb. 118 u. S. 217f.). Auf de Brosses Entwurfskonzeption konnte bisher nur aus der Darstellung bei Marot geschlossen werden, die möglicherweise unter Verwendung von Planmaterial de Brosses oder seines Umkreises entstanden war (den Plan von Marot s. bei Coope 1972, Abb. 117; zur möglichen Verwendung von Zeichnungen de Brosses vgl. S. 96f.). Da der Stich Marots jedoch einige Unklarheiten und offensichtlich auch Korrekturen mit dem Ziel einer klareren und einheitlicheren Gesamterscheinung der Planung aufweist, gilt er als nur eingeschränkt zuverlässig (zu den Problemen der Stiche bei Marot s. Coope 1972, bes. S. 93-98).
Dem Kasseler Plan kommt deshalb ein ganz besonderer Stellenwert als Quelle für die ursprünglichen Intentionen de Brosses zu, die der Forschung die Abgrenzung gegenüber den späteren Veränderungen Mansarts erleichtern könnte. An dieser Stelle kann nur auf die wichtigsten Unterschiede zu den beiden jüngeren Plänen hingewiesen werden. Außer den bereits bekannten und oben genannten Maßnahmen Mansarts fällt vor allem das überraschend einfache Konzept für das Vestibül und das Treppenhaus im Corps de Logis auf. Hier wurde erst nach dem Entstehungszeitpunkt des Kasseler Blattes eine großzügigere und differenzierte innere wie äußere Gestalt gefunden. Sie könnte somit, wie die Treppe im Nordflügel, möglicherweise erst von Mansart entworfen worden sein. Schon Coope ließ offen, ob der Treppenhausentwurf eindeutig de Brosse zuzuschreiben ist (Coope 1972, S. 108f.). Die Raumaufteilung von Corps de Logis und den seitlichen Pavillongruppen stimmt ansonsten bei allen drei Plänen überein, während bei den Seitenflügeln der Kasseler und der Pariser Grundriß sich in der Kleinteiligkeit der Raumstruktur ähneln, ohne identisch zu sein. Wie beim Mittelteil des Corps de Logis unterscheiden sich auch die Darstellungen des westlichen Eingangspavillons bei Marot deutlich von der einfacheren Grundrißlösung des Kasseler Plans. Dort finden sich zudem nur an den vorderen Stirnseiten der Feld- und Hofseiten Halbsäulen, während die zurückspringenden Mauern mit Pilastern belegt sind. Marot zeigt dagegen eine größere Anzahl von Halbsäulen. Eine differenziertere Gestaltung kennzeichnet bei Marot auch die Hoffront der an den Pavillon anschließenden Arkadengänge. Jeweils zwei Pilaster rahmen tieferliegende Wandfelder; bei GS 7022 sind lediglich zwei Halbsäulen vor ein einfaches Wandstück plaziert.
In der Zeichnung sind an vielen Stellen nachträglich Ergänzungen und Korrekturen in brauner Feder, aber auch in Graphit eingetragen. Daneben werden auch Verzeichnungen oder Fehler sichtbar, so etwa fehlende Türen im nordwestlichen Eckbereich und gegen Fenster oder Türen laufende Wände. Die kräftigen Graphitmarkierungen auf beiden Seiten der ovalen Kapelle im Südflügel lassen sich nicht klar deuten: entweder sollte der Sakralraum vergrößert oder aber zwei gleich große Annexräume geschaffen werden. Für den weiter östlich folgenden kleinen Kapellenraum wird eine Verkleinerung und die Verlegung des Altars an die Nordwand vorgeschlagen. Ob die schwach erkennbaren Graphitspuren in den Räumen der Südostecke und des Corps de Logis sowie auf der Blattrückseite mit dem Schloßprojekt direkt in Zusammenhang stehen, läßt sich nicht entscheiden. Möglicherweise stehen sie mit Überlegungen zur Deckengestaltung in Zusammenhang.
Die Unterschiede des Blattes im Vergleich mit den Grundrissen bei Marot und in der Bibliothèque Nationale sowie die vielfachen Korrekturen, Nachträge und Ungenauigkeiten lassen auf ein frühes Entwurfsstadium schließen, das als Grundlage für Änderungen der Raumverteilung und anderer baulicher Einzelheiten diente. Als Zeichner des Kasseler Blattes kommt Salomon de Brosse selbst oder einer seiner Mitarbeiter in Frage. Da de Brosse das Bauvorhaben von Coulommiers schon bald nach dem Abschluß der ersten Planungsphase an seinen Mitarbeiter Charles Du Ry übertragen hatte, so daß dieser deshalb längere Zeit sogar als der Architekt des Schlosses galt (Coope 1972, S. 14), wäre Du Ry als Autor der Zeichnung GS 7022 denkbar. Das Blatt dürfte sich jedenfalls lange Zeit im Besitz der Familie Du Ry befunden haben, bevor es an den Kasseler Oberbaudirektor Heinrich Christoph Jussow überging, in dessen Nachlaß es erstmals nachweisbar ist. Möglicherweise hatte Jussow es direkt von seinem Amtsvorgänger Simon Louis Du Ry erhalten. Es ist gut denkbar, daß es von Paul Du Ry (1640-1714), dem Enkel von Charles Du Ry, aus Frankreich mitgebracht worden war. Wie aus einem 1718 abgefaßten Brief eines in Leiden ansässigen Verwandten der Familie hervorgeht, befanden sich im Besitz Paul Du Rys auch Zeichnungen des ebenfalls von Salomon de Brosse erbauten Palais du Luxembourg (Familienpapiere Du Ry, mhk, Graphische Sammlung, Marb. Dep. II, 413.1, fol. 43v). In den Familienunterlagen befindet sich weiterhin eine Darstellung von Blattwerk, das mit ähnlichen Motiven aus dem Umkreis von Salomon de Brosse in der Kunstbibliothek Berlin in engem Zusammenhang steht (Familienpapiere Du Ry, Marb. Dep. II, 413.1, fol. 27r; vgl. dazu Berckenhagen 1970, S. 47, Hdz 2238 recto und verso; dort auch Verweis auf das Album Paris, Louvre RF 5946).
Ob möglicherweise ein Zusammenhang mit den Zeichnungen in dem Album RF 5946 des Louvre (vgl. Coope 1972, S. 219f.) oder einer Zeichnungsserie in der Kunstbibliothek in Berlin (Berckenhagen 1970, S. 43-49) besteht, die von Coope Charles Du Ry zugeschrieben werden, muß hier offenbleiben, da es sich bei diesen um Aufrißdarstellungen und bauliche oder ornamentale Details handelt.
Stand: September 2004 [GF]


Literatur:
unpubliziert


Letzte Aktualisierung: 01.09.2022



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