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3.130.3.9 - Wilhelmsthal, Schloß, Garten, Entwurf zu einem Chinesischen Entenhaus, halber Grundriß und Aufriß



3.130.3.9 - Wilhelmsthal, Schloß, Garten, Entwurf zu einem Chinesischen Entenhaus, halber Grundriß und Aufriß


Inventar Nr.: Marb. Dep. 4
Bezeichnung: Wilhelmsthal, Schloß, Garten, Entwurf zu einem Chinesischen Entenhaus, halber Grundriß und Aufriß
Künstler: Johann Georg Fünck (1721 - 1757), Architekt/-in
Datierung: 1746/47
Geogr. Bezug: Wilhelmsthal
Technik: Graphit, Feder in Schwarz und Grau, grau, braun, blau, rosa und gelb laviert
Träger: Papier
Wasserzeichen: -
Maße: 36,1 x 55,4 cm (Blattmaß)
Maßstab: unbezifferter Maßstab ohne Maßeinheit
Beschriftungen: unten rechts: "B. 3" (Graphit)
in der Darstellung: Maßangaben (Graphit)
verso: "Wilhelmsthal am Ententeich / abgebrochen / Cuvilliés-[...], um 1750" (Graphit)


Katalogtext:
Das Blatt zeigt im oberen Teil den reich kolorierten Aufriß eines Entenhauses, der in dieser Form gut als Präsentationszeichnung denkbar ist. Auf der unteren Blatthälfte findet sich die in Graphit ausgeführte Hälfte des auf den Aufriß bezogenen Grundrisses. Schwache Graphitspuren auf der rechten Blatthälfte verdeutlichen, daß beabsichtigt war, den Grundriß vermutlich in Anlehnung an den Aufriß zu vollenden. Das bemerkenswerte Zusammentreffen von aufwendiger Aufrißgestaltung und unvollendeter Grundrißzeichnung läßt vermuten, daß dieser Entwurf vor seiner Fertigstellung verworfen wurde.
Die Hauptfront des Entenhauses wird als eingeschossiges Gebäude präsentiert, das aus drei Pavillons mit Galerieverbinderflügeln zusammengesetzt ist. Die oktogonale Grundrißform unterstreicht die besondere Stellung des Mittelpavillons. Während dieser mittlere Baukörper als Sitzplatz für das Geflügel vorgesehen war, sollten die rechteckigen Seitenbauten als Nisthäuser dienen. In den Galerien waren Wasserbecken untergebracht. Zum Ententeich hin ist jeder Bauteil mit einem Ein- bzw. Ausgang ausgestattet. Weitere Eingänge befinden sich an den Seiten der Eckpavillons.
Planungen für den Bau müssen im Zusammenhang mit der Gestaltung der südlichen Gartenachse im Jahr 1746 begonnen haben, da 1748 das erste Entenhaus bis auf die innere und äußere Ausstattung und Verzierung fertiggestellt war. In diesem Jahr sollten der Marmorfußboden und die Spiegelscheiben für die Fenster bestellt, Zierelemente entworfen, ausgewählt und Modelle angefertigt werden. Gleichzeitig wurden Verträge mit den Stukkateuren angeordnet. Im Jahr 1749 erfolgte die Anweisung, das zweite Haus mit einem Dach auszustatten: "An den Baumeister Fincken zu Amelienthal, Cassel den 4ten April 1749. [...] 6. Das das Dach auf die Pavillons der Enten Häußer auf der andern Seite aufgeschlagen werden [soll]" (StAM Best. 40, 10, 5; zit. nach Schmidt-Möbus 1995, S. 105).
Die für eine derartige Architektur charakteristischen chinoisen Elemente finden sich in den konkav geschwungenen Mansarddächern und den auf Dachfirst und -traufen angebrachten ornamentalen Details wie schnecken- und drachenartigem Getier. Die getrennt überdachten Verbinderflügel weisen eine komplizierte Dachform durch quergestellte geschweifte Spitzbogenabschlüsse auf. Diese raffinierte Dachkonstruktion sollte dem Bau zum Verhängnis werden. Die mangelhafte Wasserabführung hatte hohe Reparaturkosten zur Folge, die schließlich der Grund für den Abriß ein halbes Jahrhundert später waren. Der Abbruch erfolgte dem späteren Eintrag auf einer Zeichnung von J. F. Reissmann zufolge (StAM 300 P II 342/13) am 11.9.1800.
Ungewöhnlich für einen derartigen Repräsentationsbau war das geplante backsteinsichtige Mauerwerk, von dem nur die Pavillons und die Pilasterrahmungen ausgenommen waren. Der Grund für diese Entscheidung war die Farbigkeit der Steine, die die exotischen Gestaltungsabsichten unterstrich. Die dekorative Gestaltung bezieht sich mit den rankenumwundenen Pilastern der Pavillonfassaden und den baum- bzw. strauchähnlichen Darstellungen in den Seitenfeldern auf die Innenräume. Rechteckige Felder über den Eingängen der Seitenpavillons und über den Galerie- und Mittelpavilloneingängen zeigen exotische Tierdarstellungen, etwa eines Rhinozeros, eines Elefanten und verschiedener Vögel.
Ein Eintrag im Nachlaßverzeichnis Wilhelms VIII. ("Plan de Maison de Chine par Fink", StAM Best. 4a, 80, 15; zit. nach Schmidt-Möbus 1995, S. 110) ermöglicht die Zuschreibung der Zeichnung an den Knobelsdorff-Schüler und -Mitarbeiter Johann Georg Fünck, der ab 1746 Bauleiter des Park- und Schloßbaus von Wilhelmsthal war. Bereits Bleibaum brachte diese Zuschreibung (Bleibaum 1932, S. 16, Abb. 4). Auch die Zeichentechnik mit ihrer feinen, scharfen Federführung und der Verwendung von zahlreichen kleinteiligen Details spricht für diesen Künstler. Vergleichbar ist hier die Ausführung des großen Gartenplanes (Marb. Dep. 9) und der Kaskadendarstellungen (Marb. Dep. 6 u. Marb. Dep. 7).
Ein Blatt aus dem Lespilliez-Nachlaß in der Kunstbibliothek Berlin (Hdz 4144/104) zeigt Längsschnitt, Aufriß und Grundriß eines Chinesischen Hauses von Wilhelmsthal (Berckenhagen 1970, S. 295). Bleibaum hielt die in Form einer Federpause angelegte Zeichnung für einen Entwurf des landgräflichen Bauamts, der in München unter der Aufsicht des Schloßarchitekten von Wilhelmsthal, François de Cuvilliés, überarbeitet worden sei (Bleibaum 1932, S. 19). Durch die von J. F. Reissmann (StAM 300 P II 342/13) angefertigte Bauaufnahme läßt sich der Planungsstand der Blätter mit dem tatsächlich ausgeführten Bau vergleichen. So zeigt das Berliner Blatt in Übereinstimmung mit dem ehemals vorhandenen Baubestand eine freie Raumflucht zwischen Pavillons und Galerien, während die Zeichnung von Reissmann eingezogene Mauerzüge aufweist. Die weiteren Elemente des Grundrisses weichen bei beiden Blättern von der Ausführung ab. Im Hinblick auf die Aufrißgestaltung zeichnet sich bei dem Berliner Blatt eine durch Pilasterrahmung verstärkte Achsengliederung ab, die in dieser Art jedoch nicht umgesetzt wurde. Vergleichbar sind dagegen die Fensterbekrönungen bei den Galerien. Eine deutliche Diskrepanz findet sich jedoch in der Dachgestaltung. Die quergestellten Satteldächer über den Galerien scheinen die Mansarddach-Konstruktion in der Reissmann-Zeichnung weiterzuentwickeln. Auch die Dachgestaltung über den Pavillons mit dem haubenähnlichen Dachabschluß und die dekorativen Elemente wie die Drachenwesen auf dem First der Galerie und die Drachen mit Glöckchen in den Mäulern an den Dächern der Pavillons nehmen deutlich die ausgeführte Gestaltung vorweg. Angesichts dieser Vergleiche handelt es sich bei dem Berliner Blatt wohl nicht um eine Überarbeitung des vorliegenden Fünck-Entwurfs, sondern vielmehr um eine von Cuvilliés erdachte und von Lespilliez umgesetzte Variante. Der Bau des Chinesischen Hauses erfolgte dann aber doch auf der Grundlage des Fünck-Entwurfs, der in Teilen vielleicht von ihm selbst verändert wurde (zuletzt wies Schmidt-Möbus auf die gestalterischen Unterschiede der Entwürfe in Berlin, Marburg und Kassel hin und stellte sie in einen Entstehungszusammenhang; Schmidt-Möbus 1995, S. 108-112).
Wie bei vielen anderen Chinoiserieentwürfen lieferte auch hier der illustrierte Reisebericht des Niederländers Jan Nieuhof wesentliche Anregungen. Eine Zeichnung des Kaiserpalastes in Peking zeigt vorbildhafte Bauelemente, die bereits bei dem Trianon de Porcelaine in Versailles umgesetzt wurden, nämlich einen zentralen Mittelpavillon, Galerien und Seitenpavillons (Katalog Berlin 1973, S. 311f.). Neben der Baugestalt können auch architektonische und bildliche Details in der Nieuhofschen Zeichnung wiedergefunden werden: die umrankten Pfeiler bzw. Pilaster, die schneckenartigen Tiere und die Drachen mit den Glöckchen in den Mäulern auf den Dächern, das Wasservögelmotiv sowie die Darstellung des Rhinozeros und des Elefanten.
Was die Bauform der drei Pavillons mit Galerieverbinderflügeln und geschwungenen Dächern sowie die Auswahl chinesischer Dekorationsmotive angeht, kann das Indianische Haus von Schloß Augustusburg bei Brühl als Vergleich herangezogen werden. Bereits Both und Vogel wiesen auf Gemeinsamkeiten hin (Both/Vogel 1964, S. 201), obwohl das zwischen 1745 und 1750 errichtete, 1822 abgebrochene Haus als Lusthaus für den Kölner Kurfürsten Clemens August auf eine andere Funktion hin ausgelegt war (zum Indianischen Haus von Schloß Augustusburg s. Kiby 2000, S. 81-83 und Hansmann 2000).
Daß der Wilhelmsthaler Bau selbst auch Vorbildcharakter hatte, zeigen Motivübereinstimmungen mit dem 1763 erbauten Chinesischen Haus in Drottningholm. Zwar ist der Mittelpavillon weitaus größer als die beiden Seitenpavillons und demzufolge sind die Galeriebauten erheblich kürzer, die Einteilung in einen Mittel- und zwei Seitenpavillons mit verbindenden flachen Galerien ist jedoch auch hier vorhanden. Im Nationalmuseum in Stockholm befinden sich drei in Graphit ausgeführte Aufrißzeichnungen mit der Ansicht einer Pavillonhauptfront und zwei Detaildarstellungen eines großen dekorierten Fensters und einer Supraporte, die den Verbinderflügeln zuzurechnen sind. In einem Aufsatz von Osvald Sirén ist eine Abbildung des Pavillonaufrisses mit dem Titel "Partie d'une Pavillon de la maison Chinoise dont il y a trois principales" (NM CC 1823) aufgeführt (Sirén 1950, S. 172; frdl. Hinweis von Bernd H. Dams, Paris). Die beiden anderen Blätter mit den Detaildarstellungen sind benannt als "Une partie de la Façade dont tous les ornements sont dorées" (NM CC 1822) und als "Decoration d'une Porte de la maison Chinoise" (NM CC 3282). Der Bauaufnahme von Reissmann zufolge entsprechen die Zeichnungen dem Bild des ausgeführten Baus in Wilhelmsthal und können somit als Ausführungsentwürfe angesehen werden. Den direkten Bezug zwischen dem hessischen und dem schwedischen Gebäude verdeutlicht ein Brief von Olaf Celsius Jr. an den Bibliothekar und Hofkammerherrn Waitz in Kassel vom 4.5.1753. In diesem berichtet Celsius, daß der Hofverwaltungsbeamte von Cronstedt angewiesen sei, zum Vergnügen der Königin ein chinesisches Haus bei Ulriksdal zu errichten. Er bittet in diesem Zusammenhang um Pläne des chinesischen Hauses in Kassel (Sirén 1950, S. 171f.). Bei den Blättern im Nationalmuseum in Stockholm könnte es sich um eine auf diese Anfrage hin erfolgte Zusendung handeln, die offensichtlich auf das Bauvorhaben in Ulriksdal keinen weiteren Einfluß hatte, bei dem Bauprojekt in Drottningholm zehn Jahre später wohl aber zum Tragen kam.
Stand: September 2004, korrigiert 2007 [MH]


Literatur:
Bleibaum 1932, S. 16, Abb. 4, S. 17f., 26; Braunfels 1938, S. 76, 104, Anm. 35; Katalog Berlin 1973, Kat.Nr. P 46; Koppelkamm 1987, S. 13 m. Abb.; Schmidt-Möbus 1995, S. 110, Kat.Nr. 13, Abb. 38; Vogel 1996, S. 198 m. Abb. 20


Letzte Aktualisierung: 08.09.2017



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