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3.76.8.1 - Marburg, Elisabethkirche, Entwurf, perspektivische Innenansicht



3.76.8.1 - Marburg, Elisabethkirche, Entwurf, perspektivische Innenansicht


Inventar Nr.: Marb. Dep. II, 410
Bezeichnung: Marburg, Elisabethkirche, Entwurf, perspektivische Innenansicht
Künstler: Friedrich Lange (1811 - 1870), Architekt/-in
Datierung: 1856
Geogr. Bezug: Marburg
Technik: Graphit, Feder in Grau, koloriert
Träger: Papier
Wasserzeichen: -
Maße: 62,8 x 49,4 cm (Blattmaß)
Maßstab: -
Beschriftungen: unten mittig: "Perspectivischer Aufriss vom Innern der S. Elisabethenkirche zu Marburg / mit der projektirten Wiederherstellung der ursprünglichen innern Färbung und Ausschmückung." (Feder in Schwarz)
oben links: "Hochbauamt" (Graphit)
oben links: "Inv. Nr. IV. b. Nr. 7" (Feder in Schwarz)
oben mittig: "Zu Nr. 6557/5b" (Graphit)
unter der Darstellung: "der Lettner ist mit nicht gemahlten Figuren / auf dem Aufriß." (Feder in Schwarz)
unter der Darstellung: "FLange gez. 1856." (Feder in Schwarz)
unter der Darstellung: "Friedrich Wilhelm" (Feder in Schwarz)
verso: "12 l" (Farbstift in Blau)


Katalogtext:
Im gerahmten, zentrierten Darstellungsfeld befindet sich eine sehr gelungene malerische Ansicht des Kirchenraums mit Blick auf den Chor. Durch den leicht nach Norden versetzten Betrachterstandpunkt kann zwischen den kantonierten Pfeilern die zweizonige Fenstergliederung der Südmauer wahrgenommen werden. Die Darstellung des durch diese Fenster von dort einfallenden Lichts als eine Abfolge von belichteten und verschatteten Zonen macht die Architektur anschaulich und ist ganz wesentlich verantwortlich für den überzeugenden Raumeindruck. Um die lichte Höhe des Langhauses zu vermitteln, hat Friedrich Lange, der rechts unter der Zeichnung signiert hat, auf die Abbildung des Kirchengestühls verzichtet. Lange gelang so eine eindrückliche Darstellung, mit der er seine Ideen zur "Wiederherstellung der innern Färbung und Ausschmückung" perfekt inszenierte. Die Darstellung geht weit über den Anspruch einer reinen Architekturzeichnung hinaus, vielmehr vermittelt ihr malerischer Gehalt eine suggestive Kraft, dem sich der Betrachter nur schwer entziehen kann.
Die vorliegende Zeichnung entstand vor dem Hintergrund einer weitreichenden Restaurierung der Marburger Elisabethkirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (StAM Best. 190a MR, Nr. 3267), die entsprechend dem Zeitgeist beispielhaft für eine "stylgemäße" Restaurierung in Ergänzung vorgefundener oder zumindest nachempfundener Formen steht. Grundlage für die in den Jahren zwischen 1854 und 1865 durchgeführten Maßnahmen boten die nach dem damaligen Kenntnisstand von Lange durchgeführten bauarchäologischen Untersuchungen.
Eine Reihe der durchgeführten Maßnahmen kann der Zeichnung entnommen werden, die insofern als Ausführungsentwurf interpretiert werden kann (die nachfolgenden Informationen zu den entsprechenden Maßnahmen stammen aus Dolff-Bonekämper 1981). Dazu zählt die Plattierung des Fußbodens in Form einer grün-weißen Musterung, wie sie sich im Mittelgang des Langhauses abzeichnet. Auch die an dem vierten nördlichen Langhauspfeiler nach Befund freigelegten Wandbilder mit der hl. Elisabeth (westlich, sichtbar) und der hl. Katharina (östlich, nicht sichtbar), die eine historische Madonnenfigur unter einen Tabernakelbekrönung rahmen, sind Teil dieses Maßnahmenkatalogs. Außerhalb der Darstellungsbereichs liegen die in dieser Zeit neu errichteten Scheidmauern zwischen Vierung und Seitenchören, die Lange aufgrund eines Fundamentfunds von zwei Mauerzügen sowie Spuren von Maueranschlüssen an den Vierungspfeilern rekonstruierte. Die neuen Erkenntnisse im Hinblick auf eine Farbigkeit der mittelalterlichen Architektur, die dem noch aus der klassizistischen Zeit stammenden Ideal der Steinsichtigkeit widersprachen und daher nicht unumstritten waren, schlugen sich auch hier nieder, indem eine nach Befund angelegte spätgotische Rankenmalerei in den Gewölbekappen des Hochchores und eine Bemalung von Kapitellen und Schlußsteinen durchgeführt wurde.
Ein wichtiges raumbildendes bzw. in diesem Fall raumbegrenzendes Objekt stellt der hochgotische Lettner dar, den Regenbogen zunächst entfernen lassen wollte. Lange setzte sich nachhaltig für dessen Verbleib ein und arbeitete zudem an dessen Vervollkommnung entsprechend den historisierenden Zielvorgaben. So wurden die Nischenfiguren, von denen 1849 nur noch fünf erhalten waren, nach einem erdachten Figurenprogramm in Gußstein frei ergänzt. Dabei sollten sie nicht farbig gefaßt werden, wie eine Zusatzbemerkung unter der Zeichnung verdeutlicht: "der Lettner ist mit nicht gemahlten Figuren / auf den Aufriß" (die Zeichnung zeigt hier zwei verschiedene Schriften, wobei offensichtlich der Hinweis "auf den Aufriß" von anderer Hand ergänzt wurde; Dolff-Bonekämper 1981, S. 164, führt dies auf eine Anweisung des Kurfürsten zurück). Lange sorgte zudem für das Wiederaufsetzen der Fialen- und Wimpergbekrönung des Lettners, nachdem er im Rahmen seiner bauarchäologischen Untersuchungen Spuren für entsprechende Aufsätze gefunden und wenig später in dem Gang zwischen Sakristei und Nordchor zahlreiche Teile dieser Bekrönung gefunden hatte. Eine erhöhte Plattform in der Mitte des Lettners glaubte er als Teil einer ursprünglichen Kanzel identifizieren zu können. An dieser Stelle wurde ein von zwei Engelsfiguren gehaltenes Lesepult aufgestellt, das in der Darstellung auch sichtbar ist. So konnte auf die Errichtung einer Kanzel an einem der südlichen Langhauspfeiler verzichtet werden. Eine weitere Maßnahme betraf die Ergänzung eines Triumphkreuzes mit Assistenzfiguren, dessen Existenz Lange aufgrund eigener Studien auf den Kreuzaltar zurückführte, der sich vor dem Lettner befand. Dazu ließ er über dem mittleren Bekrönungsbogen des Lettners die ursprünglichen Abschlüsse aus Fialen und Kreuzblumen abnehmen und an diesen Stellen Podeste anbringen, auf die das Kreuz und die Figuren gestellt wurden.
Daß Restaurierungen dem jeweiligen Kenntnisstand, aber auch Moden unterworfen sind, zeigt der weitere Verlauf der Geschichte. Bei einer Maßnahme in den Jahren 1930/31 wurden die Ergebnisse der unter Friedrich Lange durchgeführten Restaurierungskampagne z. T. wieder rückgängig gemacht, sofern diese nicht deutlich auf die Freilegung des ursprünglichen Baubestands ausgerichtet waren.
Das Blatt weist einige Beschädigungen (Einrisse) an den Seitenrändern auf.
Stand: August 2007 [MH]


Literatur:
unpubliziert


Letzte Aktualisierung: 08.09.2017



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