1.4.2 Alternativprojekt zur Chattenburg


Zu den bemerkenswertesten Zeichnungen im Nachlaß der Familie Wolff zählt ohne Zweifel das bisher unbekannte Konvolut mit Entwürfen zum Neubau des Kasseler Residenzschlosses von Johann Heinrich Wolff.
Rudolf Hallo zufolge (Hallo 1930/1, S. 297), dessen Angaben zur Steinmetz- und Architektenfamilie aus den Lebenserinnerungen von Johann Heinrich Wolff stammen, erfuhr Wolff während seines Aufenthaltes in Italien von den Plänen des Kurfürsten und machte sich noch im August 1816 auf den Rückweg den Kassel. Daß Wolff die aus neun Blättern bestehende Entwurfsserie in der Graphischen Sammlung unmittelbar nach seiner Ankunft 1816 anfertigte und sich damit in Konkurrenz zu Jussow setzte, ist trotz der Auskunft Hallos unwahrscheinlich. Zwar finden sich insbesondere bei der Grundrißgestaltung Elemente eines "bon arrangement", die die Auseinandersetzung mit den architekturtheoretischen Grundlagen seines Lehrers Percier widerspiegeln, die Fassadengestaltung folgt jedoch einem spielerisch romantisierenden Klassizismus, wie er seit den 1830er Jahren vor allem von der süddeutschen Schule vertreten wurde. Eher anzunehmen ist, daß Wolff sich mit einem Alternativentwurf nach dem Abbruch der Arbeiten an der von Heinrich Christoph Jussow entworfenen Chattenburg bei dem neuen Regenten Wilhelm II. ins Gespräch bringen wollte. Diese Datierung stützt eine Lageskizze (L GS 15226) mit der Umgebung der projektierten kreuzförmigen Schloßanlage. Zwar ist der Schloßgrundriß dort nicht eingezeichnet, der hier anzunehmende Standort ergibt sich jedoch durch ein weiteres Skizzenblatt (L GS 15250). Die Lageskizze zeigt den schematischen Grundriß des zwischen Friedrichsplatz und Aue errichteten Friedrichstors mit dem erst 1824 nach Entwürfen von Bromeis erbauten römischen Triumphbogen (Holtmeyer 1923, S. 126). Auch die Form des am Friedrichsplatz gelegenen Hofverwaltungsgebäudes spricht für eine Datierung in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts. Angesichts der hier ausgeführten dreiflügeligen Form ist von einer Entstehung des Blattes innerhalb der Planungszeit im Verlauf des Jahres 1825 auszugehen, bevor 1826 mit dem Bau einer Zweiflügelanlage begonnen wurde (Holtmeyer 1923, S. 418). Der Lageskizze zufolge plante Wolff südlich der Altstadt auf dem abschüssigen Gelände zur Fuldaaue hin ein weiträumiges, von Baumreihen und halbkreisförmigen Kolonnaden begrenztes Gelände mit Paradeplatz, das die östlich der Orangerie gelegene Voraue mit einbezog.
Leider weist die aus dem Nachlaß Wolff stammende Entwurfsserie keine Präsentationszeichnungen auf, so daß das abschließende Ergebnis der Entwurfstätigkeit spekulativ bleibt. Ob, wie Hallo schreibt, das Resultat tatsächlich von Schinkel positiv beurteilt worden ist (Hallo 1930, S. 297), muß angesichts der einseitigen Quellenlage jedoch kritisch hinterfragt werden. Schinkels vorsichtig positive Einschätzung des Jussow-Entwurfs kann dagegen anhand von Schinkels Reiseberichten belegt werden (Wolzogen 1862, S. 187).

Stand: September 2004, überarbeitet Mai 2005 [MH]




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