1.53.3 Wilhelmshöher Tor


Nach der Niederlegung der Festungsanlagen Kassels ab 1767 wurden die Altstadt, die Unterneustadt und die Oberneustadt von einer einfachen Mauer umgeben. Sie sollte die innere Sicherheit der Stadt sowie die Zollkontrolle gewährleisten. Im Bereich der Oberneustadt wurden außer den beiden Hauptzugängen des Frankfurter Tores unterhalb des Weinbergs und des Weißensteiner Tores im Nordwesten, noch drei kleine Mauerdurchlässe geschaffen. Sie lagen jeweils am Ende der Karls-, Königs- und Wilhelmsstraße, deren Namen auf sie übertragen wurden. Während die beiden großen Tore Gebäude für die Wache und den Torschreiber erhielten, handelte es sich bei den anderen lediglich um Mauerdurchlässe mit seitlichen Pfeilern.
Schon bald nach Errichtung der Mauer setzten Planungen ein, das kleine Königstor am Ende der Königsstraße, das 1798 den Namen Wilhelmshöher Tor erhielt, architektonisch aufzuwerten. Zu den bemerkenswertesten Vorschlägen gehörten das 1780 von Simon Louis Du Ry vorgelegte Projekt eines Tores nach dem Vorbild des Konstantinsbogens in Rom oder ein von Holtmeyer Jussow zugeschriebener und in das Jahr 1803 datierter Entwurf, der Motive des Brandenburger Tores in Berlin mit drei Rundbögen verbindet (zum Entwurf Du Rys vgl. Katalog Kassel 1979, S. 213, Nr. 280; Katalog Kassel 1986/1, S. 115, Abb. 18e; das Jussow zugeschriebene Projekt bei Holtmeyer 1923, S. 128, Taf. 81,1; es befindet sich derzeit in dem Klebeband Potsdam, SPSG, Plankammer, Bestand Kassel XVI; dem Entwurf liegen Erläuterungen des Bauinspektors Carl Wilhelm Hisner bei). Die Annahme der älteren Literatur, die Erlangung der Kurwürde 1803 sei der Anlaß zur Erbauung des Tores gewesen, trifft offensichtlich nicht zu (Brunner 1913, S. 307 und danach Holtmeyer 1923, S. 128 führten das Torprojekt darauf zurück; auf die Kontinuität der Planungen zu dem Tor seit Du Ry hat Dittscheid hingewiesen; Dittscheid 1983/2, S. 63). Vielmehr scheinen städtebauliche und ästhetische Erwägungen ausschlaggebend gewesen zu sein. Hinzu kam die wachsende Bedeutung der Pforte seit Anlage der 1776 begonnenen neuen Weißensteiner Allee, die auf den runden Platz vor der Stadtmauer mündete.
Die Konzeption der neuen Toranlage steht im Zusammenhang mit den 1805 begonnenen Planungen für einen sechseckigen Platz mit großzügiger Toranlage (zum Weißensteiner, später Wilhelmshöher Platz vgl. GS 6300 u. GS 5867). Da für diesen geschlossene Platzfronten mit einer dreigeschossigen Bebauung vorgesehen waren, erhielten auch die beiden 1805 begonnenen Wachthäuser drei Stockwerke.
In drei Varianten für den geplanten Neubau war Jussow darum bemüht, für das Stadttor unter Rückgriff auf Vorbilder aus der antiken Architektur eine eigenständige bauliche Lösung mit monumentalem Charakter zu finden. Auf der Grundlage dieser drei Entwürfe entwickelte Jussow das Ausführungsprojekt GS 5865.
Da in allen Entwürfen die Wachthäuser in der gleichen Gestalt erscheinen, war deren Aussehen zu diesem Zeitpunkt offenbar schon definitiv festgelegt oder ihr Bau hatte bereits begonnen (der Bau der Wachthäuser begann im August 1805; vgl. den Bericht Jussows vom 12. August 1805; StAM Best. 5, Nr. 11803). Jussow knüpfte deshalb in allen Entwürfen an die architektonische Gliederung der Seitengebäude an.
Jussows Entwürfe zur Toranlage entwickelten sich von der phantasievollen und stark den Ideen der Revolutionsarchitektur verbundenen Vision GS 6300 zu Lösungen, die mit Triumphbögen nach römischem Muster an ältere Traditionen der Antikenrezeption anknüpften (GS 5863, GS 9556) oder mit der Verarbeitung griechisch-dorischer Vorbilder (GS 5864, GS 5865) aktuelle Tendenzen der Architekturdiskussion des Klassizismus aufnahmen (zur Rezeption antiker Architektur in Kassel vgl. Katalog Kassel 1986/1, S. 47-52).
Die Architektur sollte jeweils durch Skulpturen und Reliefs ergänzt werden. Ihr Programm konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden.
Alle drei Entwürfe werden im selben Maßstab erfaßt. Wie häufig im zeichnerischen Werk von Jussow, so wird auch hier farblich zwischen den Bauten des Vorder- und Hintergrundes differenziert. Die Wachthäuser sind hellbraun, die Torprojekte dagegen grau laviert.
Die Besetzung durch die Franzosen 1806 beendete die Bauarbeiten. Wie ein Entwurf Klenzes zeigt (Staatliche Graphische Sammlung München, Inv.Nr. 27042; vgl. Buttlar 1986, S. 196, Abb. 21), gab es in der 'westphälischen' Zeit Überlegungen, die Wachthäuser in veränderte städtebauliche Pläne einzubeziehen, doch wurden diese nicht ausgeführt. Auch nach der Rückkehr des Kurfürsten 1813 griff man das Projekt nicht wieder auf. Die Wachthäuser wurden lediglich repariert (zu den Reparaturen 1815 vgl. StAM Best. 5, Nr. 13834; nach Lobe wurden die bereits vorhandenen "Substructionen" des Tores wieder beseitigt; Lobe 1837, S. 65), blieben aber unverputzt; anstelle des geplanten Tores trat ein Zaun.

Text übernommen aus Katalog Kassel 1999/CD-Rom [GF]




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