1.64.6 Entwürfe von J. H. W. Lüer


Das ehemals in der Karthäuserstraße gelegene großbürgerliche Wohnhaus wurde in den Jahren 1868-1870 für den Kasseler Großkaufmann Carl Ponfik erbaut. Die Villa entstand unter der Leitung des Architekten Johann Heinrich Wilhelm Lüer (der Entwurf soll angeblich von dem Ungewitter-Schüler Röbbelen ausgearbeitet worden sein; David-Sirocko 1997, S. 209 u. 395). Der Vertreter der sog. Hannoverschen Schule hatte nach einem Studium an der Polytechnischen Schule in Hannover im Büro von Conrad Wilhelm W. Hase gearbeitet und wurde später Mitbegründer der Niedersächsischen Bauhütte. Für den Kasseler Großkaufmann schuf er einen malerischen Gruppenbau mit Aussichtsturm, der als das bedeutendste Werk des Architekten gilt. Lüer führte das vielfach veröffentlichte Backsteingebäude mit seinen charakteristischen, mit farbigen Bleiglasuren versehenen Mauersteinen, die dem Gebäude den Namen "Glitzerburg" eintrugen, zusammen mit dem Maurermeister Seyfarth aus. Im Sinne einer Materialgerechtigkeit, die zur Verwendung des unverputzten Backsteins führte, wurde auch im Innern auf 'echte' Materialien Wert gelegt. So finden sich unverputzte Backsteinwände neben ungestrichenen Holzvertäfelungen. In der "Deutschen Bauzeitung" des Jahres 1870 äußerte sich Lüer über die Gestaltung des Gebäudes und beschrieb den Bau als ein bis ins kleinste Detail durchkonzipiertes Gesamtkunstwerk, bei dem alles auf den Charakter und die Örtlichkeit angepaßt sei. Noch vor Vollendung des Baues starb Lüers, der wohl ein Opfer seines eigenen Anspruchs und eines damit zusammenhängenden extremen Arbeitspensums wurde. Conrad Wilhelm W. Hase selbst führte die Arbeiten zu Ende (Kokkelink/Lemke-Kokkelink 1998, S. 138 u. 547).
In der Graphischen Sammlung befindet sich ein kleines dreiteiliges Konvolut mit Möbelentwurfszeichnungen im neogotischen Stil, das der Villa Wedekind zugeschrieben werden kann. Die Zeichnungen sowie der Großteil der anderen Blätter des Architekten (insgesamt 39 Blätter) stammen aus der Gewerbehalle in Kassel. Die vom Handels- und Gewerbeverein nach 1866 gegründete Institution verwaltete eine kunstgewerbliche Modell- und Mustersammlung als Anregungsmaterial für Handwerker, die im Jahr 1913 bei der Einweihung des Hessischen Landesmuseums dorthin abgegeben wurde (Wegner 1987, S. 142 u. 148f.). Nach Gründung des Kupferstichkabinetts ist der Graphikbestand vermutlich dorthin überführt worden.

Stand: August 2007 [MH]




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