3.7 Beberbeck


Das Gestüt Beberbeck liegt nordöstlich von Hofgeismar im Gebiet des Reinhardswaldes in einer Talsenke, umgeben von weitläufigen Ackerflächen. Der Ort Beberbeck ist seit dem Jahr 1018 belegt und wird 1527 als landgräfliches Hofgut mit einem Acker- und Klosterhof beschrieben, ohne daß auf die Gebäudeanordnung eingegangen wird. Informationen über die bauliche Anlage liegen erst aus dem 18. Jahrhundert vor.
Im Jahre 1823 erhielt der Kasseler Oberhofbaumeister Johann Conrad Bromeis von Kurfürst Wilhelm II. den Auftrag, die zwei bestehenden Höfe des Gestüts Beberbeck um einen dritten Hof zu erweitern. Dem Kurfürsten schwebte eine "Musteranstalt für die Landespferdezucht" (Traut 1971, S. 57) vor, die sich mit der kurhessischen Pferdezucht in die Reihe bedeutender deutscher Zuchtbetriebe eingliedern sollte. Im Sinne Wilhelms II. sollte das neue Gestüt für 80 Zuchtstuten sowie Hengste und Fohlen unbestimmter Zahl ausgerichtet sein. Unter dem Kurfürsten erhielt Beberbeck den Beinamen "Wilhelms-Gestüt".
Nachdem Wilhelm II. 1831 abgedankt und Kassel verlassen hatte, wurde das Gestüt nicht mehr unter seiner Leitung weitergeführt. Bereits um 1837 erwies sich Beberbeck als große finanzielle Belastung für den kurfürstlichen Etat. Die Blütezeit des Gestüts hielt nicht lange an, und 1867 standen die Gebäude fast leer. Für einen kurzen Aufschwung sorgte die preußische Verwaltung, die das Gestüt 1876 übernahm. Durch die Umsiedlung eines Großteils der Stuten aus dem Hauptgestüt Friedrich-Wilhelm bei Neustadt an der Dosse nach Beberbeck konnte der Pferdebestand aufgefrischt und der Betrieb ökonomisch saniert werden. Beberbeck zählte nun zu den fünf preußischen Hauptgestüten. 1928 wurde es endgültig aufgelöst.
Die Gesamtanlage Beberbeck besteht heute aus drei Höfen in axialer Folge, dem Acker-, Kloster- und dem neuen Hof. Entlang der in Südost-Nordwest-Richtung verlaufenden Hauptachse wurden die Gebäude spiegelbildlich angeordnet. Der denkmalgeschützte Bestand geht im wesentlichen auf Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts zurück. Außerhalb der Höfe liegende Bauten entstanden im 20. Jahrhundert. Eine Rekonstruktion der Anlage ist anhand der überlieferten Pläne des Oberhofbaumeisters Bromeis, Beschreibungen von Mieckley 1905 und Traut 1971 sowie einigen fotografischen Dokumenten möglich. Eine genauere Auseinandersetzung mit dem Quellenmaterial ist bei Bidlingmaier 1991 und Renner 2003 zu finden.
Zwischen 1827 und 1831 entstanden die Gebäude des neuen Gestütshofs in klassizistischer Formensprache. Die Gebäude bildeten einen auf vier Seiten geschlossenen Hof mit wesentlich größeren Ausmaßen als Kloster- und Ackerhof. Durch ihre axiale Anordnung sowie die für ihre Nutzung charakteristische Architektursprache korrespondierten Wohn- und Wirtschaftsbauten miteinander. Als Baumaterial dienten Ziegel, die in einer nahe gelegenen Ziegelei gebrannt worden waren. Alle Gebäude des neuen Hofes zeichneten sich durch eine einheitlich strenge Fassadengliederung aus. Die Geschosse wurden durch teilweise umlaufende Gurtgesimse unterteilt und mit gerahmten Sprossenfenstern und Türen versehen. Die Schlußsteine über den zentralen Türen zeigen die Kurfürstenkrone mit dem Monogramm Wilhelms II. sowie das Entstehungsjahr des jeweiligen Gebäudes.
Im heutigen Bestand begrenzt das "Offiziantenhaus" (1827-1829) den neuen Gestütshof Richtung Südosten. Es ist in geringem Abstand zum Gasthaus des Klosterhofes angelegt und bildet das neue Zentrum des Gestüts. Flankiert wird es von zwei 1829 errichteten Fruchthäusern, die leicht Richtung Westen versetzt sind. Durch ihre Lage, Größe und ockerfarbenen Putzfassaden bilden diese Gebäude heute einen besonderen Blickfang. Die Fruchthäuser leiteten ursprünglich zu den langen Stallgebäuden (1827-1829) an den Seiten des Hofes nach Nordosten und Südwesten über. Dadurch wurde der neue Hof im Verhältnis zu Acker- und Klosterhof wesentlich verbreitert und die Errichtung eines größeren Herrenhauses möglich. Die Stallgebäude wurden 1964 bzw. 1972 abgebrochen. Für die Wegekreuzung in der Mitte des neuen Hofes war eine Brunnenanlage geplant, welche die neuen Gebäude mit Quellwasser versorgen und zum Feuerlöschen dienen sollte. In einem Bericht ist nur noch von der "Anlage eines Bassins im Mittel des Hofes" (StAM Best. 7b 1, Nr. 686, 16. März 1829) die Rede. Ein Architektur- oder Skulpturenbrunnen, wie in überlieferten Plänen dargestellt, wurde aber aus finanziellen Gründen niemals realisiert.
Das Herrenhaus (1829-1831) als architektonisches Pendant zum "Offiziantenhaus" schließt den neuen Hof und damit die gesamte Anlage des Gestüts Beberbeck Richtung Nordwesten ab. Der Mittelbau war ursprünglich als Sommerresidenz für den Kurfürsten gedacht. Sein zentraler Kuppelsaal bildet den krönenden Abschluß der Hauptachse.
In Bromeis' Konzept für den neuen Hof sind verschiedene Einflüsse zu erkennen. Zum einen richtete sich der Oberhofbaumeister nach der vorgefundenen Situation zweier hintereinander geschalteter Höfe in axialer Folge. Zum anderen belegt eine Abzeichnung des Friedrich-Wilhelm-Gestüts (GS 5549) eine deutliche Orientierung an diesem preußischen Hauptgestüt. Das Friedrich-Wilhelm-Gestüt war zwischen 1787 und 1789 von Ephraim Wolfgang Glasewaldt nahe dem Ort Neustadt an der Dosse errichtet worden. Der Auftraggeber Friedrich-Wilhelm II. (1744-1797) hatte seit seinem Regierungsantritt durch die Errichtung einiger preußischer Gestüte der Pferdezucht einen erheblichen Aufschwung gegeben. Die Anlage Friedrich-Wilhelm galt im 19. Jahrhundert als Vorbild für den Gestütsbau, da sie komplett neu und nach modernem Standard für Pferdezucht, Hygiene und Unterbringung der Tiere errichtet worden war. Parallelen zwischen dem Friedrich-Wilhelm und dem Beberbecker Gestüt bestehen im Grundriß der Hofanlagen und der Gebäude sowie in deren nach dem Nutzen orientierten Architektursprache. Die Bauten bilden ein miteinander korrespondierendes, architektonisches Gesamtensemble.
Das Herrenhaus in Beberbeck und das Hauptgebäude des Friedrich-Wilhelm-Gestüts entsprechen in ihrer Typologie dem Corps de Logis französischer Stadtpaläste. Sie ist zum Beispiel in den Pariser Privatbauten des 17. und 18. Jahrhunderts, den sog. Hôtels Particuliers, ausgeführt und seit Mitte des 18. Jahrhunderts bei ländlichen Herrenhäusern in Preußen sowie auch bei Kasseler Stadtpalästen, z. B. dem Weißen Palais, zu finden.
Rein quantitativ belegt die große Anzahl an Plänen Bromeis' intensive Beschäftigung mit der Planung des Herrenhauses. Es stellt in seinem Zusammenspiel von Funktion und Architektur ein Novum für den Gestütsbau dar. Das Herrenhaus besteht aus einer Kombination überlieferter Architekturelemente von Stadtpalästen mit der Verwendung einer Kuppel. Für die Gestaltung eines repräsentativen Haupthauses in einem Gestüt ist die Realisierung eines Rundbaus im gartenseitigen Mittelrisalit des Herrenhauses Beberbeck mit einem reich ausgestatteten Kuppelsaal im Gebäudeinnern ungewöhnlich.
Neben anderen Details geht die Kuppel auf ein architektonisches Formenrepertoire des Oberhofbaumeisters Bromeis zurück, das sich in Ermangelung an Auslandsreisen über seine Ausbildung an der Kasseler Académie d'Architecture (gegr. 1781) und über seinen Lehrer Heinrich Christoph Jussow herleiten läßt. Die Vermutung liegt nahe, daß Bromeis sich von einem Entwurf seines Lehrers für das Palais Veltheim inspirieren ließ.
Grundriß und Seitenansicht des von Jussow 1800 geplanten, aber nie ausgeführten Palais Veltheim (GS 6056; GS 6059; vgl. Marb. Dep II, 65) zeigen einige deutliche Parallelen. Das Gebäude wurde aus den geometrischen Grundkörpern Kugel, Würfel und Kubus komponiert. Im Beberbecker Herrenhaus wurde diese Verschmelzung stereometrischer Formen reduziert ausgeführt, die Proportionen stimmen jedoch überein. Anstelle des Portikus betont ein leicht vorspringender Risalit die hofseitige Fassade, die Freitreppe wurde im Gegensatz zum Palais Veltheim verkürzt. Der Mittelrisalit der Gartenseite läßt durch seine abgerundete Form auf den Kuppelsaal und Erdgeschoßsaal im Inneren schließen. Die flache Kuppel ragt in ihrer Höhe nur geringfügig über den Dachfirst des Mittelbaus hinaus. Die kubische Gebäudeform des Mittelbaus wiederholt sich in den Seitenflügeln des Herrenhauses.
Den Profilen des Herrenhauses in Beberbeck und des Palais Veltheim liegt eine deutliche Pantheonreminiszenz zugrunde, die sich zum einen durch die klare Kombination stereometrischer Formen, insbesondere aber durch die Anlage eines Kuppelsaales mit der Kugel als Konstruktionsgrundlage zeigt.

Stand: September 2004 [SR]




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