3.120.1 Ev. Kirche


Da Volkmarsen den evangelischen Glauben erst nach dem Augsburger Religionsfrieden angenommen hatte und da der Landesherr, in diesem Fall der Kölner Erzbischof, die konfessionelle Zugehörigkeit bestimmte, mußte die Stadt wieder zum katholischen Glauben zurückkehren. Erst mit der Einrichtung eines Betsaals und der Berufung eines Predigers im Jahr 1841 konnten die nunmehr evangelisch-reformierten Christen ihre Religion in Volkmarsen wieder frei ausüben (Hederich 1991, S. 17-33).
Es gab frühzeitig Bestrebungen, einen eigenen Kirchenbau zu errichten. Da die Finanzmittel der Kirchengemeinde nicht ausreichten, wurde 1840 eine Kollekte im Kurfürstentum Hessen durchgeführt, die insgesamt 4400 Rthl. (Manuskript Marb. Dep. II, 402) erbrachte. Bis 1848 wuchs der Baufond auf 8690 Rthl. an. Mit den ersten Geldern konnte die Gemeinde im Februar 1843 zwei Grundstücke zwischen der Kasseler Straße und dem Landweg nach Welda als Bauplatz erwerben. Lange wurde darüber debattiert, wie die Kirche ausgerichtet werden sollte. Man entschied sich schließlich für eine rechtwinkelige Anordnung zur Kasseler Straße und damit gegen der traditionellen Ostausrichtung (Hederich 1991, S. 35 u. 37f.) Bereits am 6. März reichte das Konsistorium einen von Oberbaudirektor Johann Conrad Bromeis angefertigten Entwurf beim Ministerium des Innern ein (GS 15474). Der hiernach zu errichtende Bau aus Bruchsteinen fand jedoch keine Zustimmung, so daß das Ministerium die Oberbaudirektion im November aufforderte, einen neuen Entwurf vorzulegen. Folgende Punkte galt es dabei zu beachten: die Kirche sollte 600 bis 700 Gläubigen Platz bieten; sie sollte im Vergleich zur katholischen Kirche bescheidener ausfallen und nicht mehr als 10000 Rthlr. kosten (Lohr 1984, S. 106; Buchstab 2003, S. 49). An dem zweiten Planungsabschnitt beteiligten sich verschiedene Architekten, u. a. auch Hofbaudirektor Julius Eugen Ruhl, dessen frühester Entwurf vom November 1844 sich heute im Hessischen Staatsarchiv Marburg befindet (Lohr 1984, S. 106; Lohr nennt zwar einen noch früheren Entwurf vom Februar, er beschreibt und nennt als Verweis jedoch den Entwurf im Hessischen Staatsarchiv Marburg vom November). Sein ursprünglicher Plan sah demnach einen oblongen Saalbau vor, bei dem an beiden Schmalseiten Bereiche für Chor und Eingang abgetrennt sind. Aus Kostengründen mußte das Konzept jedoch vereinfacht werden. Der Ausführungsentwurf von Ruhl veranschlagte statt der 10000 Rthl. nur noch einen Betrag von 7900 Rthl. bei einer allerdings auch verringerten Sitzplatzanzahl von 400, max. 500 Plätzen (bei bequemer bzw. gedrängter Belegung; Lohr 1984, S. 106; Buchstab 2003, S. 49).
Die Ausführung oblag dem Landbaumeister Schirmer aus Wolfhagen. Die örtliche Bauaufsicht wurde dem Hofeleven bzw. ab Mai 1847 Hofbaukondukteur Heinrich von Dehn-Rotfelser übertragen (Manuskript Marb. Dep. II, 402; s. a. Bauinschrift am Türsturz des Hintereingangs, die seitlich zudem noch folgende Beteiligte nennt: "DER BAU WURTE / BEGONNEN UNDER DER / AUFSICHT DES DRECHSLER COSTER / KAUFHOLZ EGELER / MAURERMEISTER / THÖNE / STEINHAUER / AUS WORMELN"). In den Jahren zwischen 1845 und 1847 entstand der Sandsteinquaderbau im neoromanischen Stil mit Eingangsturm. Die Hauptfassade ist in drei vertikale Bereiche gegliedert, wobei der mittlere als flacher Risalit vortritt. Darüber erhebt sich der zweigeschossige Turm, der ursprünglich einen flachen Brüstungsabschluß hatte und seit 1961 in einem Spitzdach endet. Das einfache rechteckige Langhaus zu sieben Jochen zeigt im Innern eine flach gedeckte dreischiffige Halle mit umlaufenden Emporen. Im Chorraum bildete Ruhl durch schräg gestellte Emporenecken eine Nische mit Sakristeiräumen aus. Während die Wand mit der angebauten Kanzel bis zur Decke hochreicht, sind die seitlichen Emporenschrägen nur eingeschossig ausgeführt worden. Bei einem Umbau im Jahr 1955 wurde dieser schräge Wandbereich zur Decke hin geschlossen (Hederich 1991, S. 58 u. 63; Buchstab 2003, S. 50). Im selben Jahr sind auch Veränderungen des Eingangsbereichs vorgenommen worden, indem die im Turmraum gelegenen Treppenaufgänge zur Empore durch Wände vom Kirchenschiff abgetrennt wurden.
Bemerkenswert ist die Verwendung von Gußeisen bei diesem Bau. Bereits 1824/25 hatte Ruhl bei der Errichtung der Kirche von Großkrotzenburg diesen Werkstoff eingeplant. Aus Kostengründen ließ sich das Vorhaben jedoch nicht verwirklichen. Bei dem Bau in Volkmarsen sind die Fensterrahmen tatsächlich aus Gußeisen angefertigt worden. Auch der Dachstuhl sollte ursprünglich aus diesem Material konstruiert werden. Die höheren Kosten verhinderten jedoch auch in diesem Fall die Ausführung (Buchstab 2003, S. 49).

Stand: Mai 2005 [MH]




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