3.130.3 Gartenanlagen und -architektur


Der Bautyp der "maison de plaisance" verlangt die Anbindung und konzeptionelle Verknüpfung mit einer Gartenanlage. Noch vor Beginn der Arbeiten am Schloß setzte dementsprechend im Jahr 1743 die Umgestaltung des weitgehend landwirtschaftlich genutzten Gartens außerhalb des noch bestehenden Gutshofbereichs von Amelienthal ein (zur Rekonstruktion der Bau- und Plangeschichte zuletzt Schmidt-Möbus 1995, S. 78-123). Mit der konzeptionellen Planung wurde der bayrische Hofbaumeister François de Cuvilliés beauftragt. Die Realisierung lag in den Händen von Johann Georg Fünck, der von 1746 bis 1749 die Bauleitung in Wilhelmsthal innehatte und einen Großteil der erhaltenen Garten-Zeichnungen anfertigte. Einen nicht unwesentlichen Anteil bei Planung und Durchführung wird auch der Landgraf selbst gehabt haben, wie aus seiner Einflußnahme beim Bau der Kaskade gefolgert werden kann (Eisentraut 1907, S. 110). Auch Simon Louis Du Ry erarbeitete bereits zu Beginn seiner Ausbildung im Jahr 1749 einen Plan für die Gestaltung des Gartens in Wilhelmsthal (Marb. Dep. 26). Der nur Teilbereiche des Gartens beinhaltende Entwurf war ohne direkten Auftrag entstanden und blieb in der Folge ohne Auswirkungen auf die gartengestalterische Umsetzung.
Die hügelige Geländeform und die Besitzverhältnisse ließen eine fünfeckige Anlage mit fächerförmig vom Schloß ausstrahlenden Achsen entstehen. Von den drei geplanten Hauptachsen sind jedoch nur Teile realisiert worden. Auf der zunächst begonnenen südlichen Achse waren eine Grottenanlage und eine Menagerie mit Entenhäusern vorgesehen, deren Bau auch weitgehend vollendet wurde. Die für Wasserspiele ausgelegte Mittelachse sollte als point de vue eine Kaskade mit vorgelagertem Wasserbecken erhalten. Eine darauf abzielende Wasserführung wurde begonnen, die Arbeiten an der Kaskade konnten jedoch nicht abgeschlossen werden. Der nördliche Gartenabschnitt, der vom Weinberg im Nordosten und den nahe dem Schloß gelegenen Obstbaumkulturen geprägt war, blieb von den Gestaltungsmaßnahmen unangetastet.
Die Konzentration auf den Schloßbau ab 1748 und schließlich die Einstellung sämtlicher Bauarbeiten infolge des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) verhinderten die Beendigung des Gartenprojekts unter dem Bauherrn Wilhelm VIII. Sein Sohn und Nachfolger Friedrich II. ließ bereits Veränderungen an der ursprünglichen Anlage vornehmen. 1768 wurde das obere, für die Wasserkünste der Mittelachse bestimmte Wasserreservoir trockengelegt und in ein Bowlinggreen umgewandelt. 1794 erfolgte die Zuschüttung des Grottenkanals und des anschließenden Wasserbeckens in der Südachse. Die nur teilweise ausgeführte Kaskadenanlage hinter dem Schloß wurde abgebrochen. Damit begann eine weitreichende Umgestaltung des Rokokogartens von Wilhelmsthal. Ein Landschaftgarten nach englischem Vorbild war das gestalterische Ziel unter Landgraf Wilhelm IX., der seinen Hofgärtner Carl Friedrich Hentze 1795 beauftragte, "den alten steifen Garten in Wilhelmsthal zu einem neuen umzuschaffen, so wie es zum allgemeinen Beyfall auch schon mit dem nunmehr so fürtrefflichen Weißenstein [...] geschehen" (zit. nach Bleibaum 1926, S. 35).
Der Bau der Grotte im südlichen Bereich des spätbarocken Gartens von Wilhelmsthal bedeutete die erste Ausführung einer Gartenarchitektur in der Anlage. Ihr kommt heute eine besondere Bedeutung zu, da sie das einzig erhaltene Gartengebäude auf dem Gelände ist.
Mit den Planungen wurde der preußische Hofbaumeister Knobelsdorff beauftragt. Anläßlich eines Besuches des hessischen Prinzen, des späteren Landgrafen Wilhelm VIII., bei dem jungen Preußenkönig Friedrich im Mai/Juni 1743 ist es wahrscheinlich zu einer Kontaktaufnahme mit Knobelsdorff und ersten Vorgesprächen gekommen. Daß tatsächlich eine Umsetzung der Planungsidee erfolgte, zeigt entgegen einer bis zur Arbeit von Friederike Schmidt-Möbus vermuteten Autorschaft von François de Cuvilliés ein um 1753 vorgenommener Eintrag in eine Liste des Nachlaßinventars Wilhelms VIII (StAM Best. 4a, 80, 15, zit. nach Schmidt-Möbus 1995, S. 90). Die hier aufgeführten "Plans de la Grotte d'Amelienthal fait par Knobelsdorff de Berlin" lassen sich zwar nicht unmittelbar mit den Zeichnungen in der Graphischen Sammlung in Beziehung setzen, die Konzeption der Anlage durch Knobelsdorff wird heute von der Forschung jedoch nicht mehr angezweifelt (Schnackenburg 1997; zuletzt Schmidt-Möbus 1999, S. 127-132).
Bautypologisch steht die Wilhelmsthaler Grotte in der Tradition der italienischen Futtermauergrotten, wobei sie nicht als höhlenartiger Raum in das ansteigende Gelände, sondern in französischer Ausprägung als eigenständiger Pavillon angelegt wurde. Eingebunden in ein eigenes, für diesen Teil der Anlage geplantes Gartenstück ist sie wie ein kleines "Chateau d'eau" begehbar (Rietzsch 1987, S. 33-37; Weber 1985, S. 58; Schmidt-Möbus 1995, S. 83). Als konstruktives Vorbild im regionalen Umfeld kann die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts angelegte Neptungrotte des italienischen Bildhauers und Architekten Guerniero im Wilhelmshöher Park gelten. Wie in Wilhelmsthal entstand ein in das ansteigende Gelände eingebauter, begehbarer Raum in ovaler Gestalt mit einer Gewölbekonstruktion aus Bandrippen und Stichkappen, der rückseitig drei Figurennischen und vorderseitig drei rundbogige Öffnungen zeigt. Auch die seitlich der Grotte plazierten Nischen für weitere Figurenstellungen sind vorhanden.
Ein wesentliches Element der Wilhelmsthaler Gartengestaltung bildete die geplante Anlage einer Kaskade in der Mittelachse, deren Wasserkünste vom wichtigsten offiziellen Raum des Schlosses, dem Musensaal im ersten Obergeschoß, für die Hofgesellschaft zu besichtigen gewesen wären. Für die notwendige Wasserversorgung war ein östlich gelegenes großes Wasserbecken als Reservoir geplant. Zunächst unterirdisch geführt, sollte das Wasser ein geschweiftes Becken erreichen und von hier in einen von Baumreihen umstandenen Kanal zur Kaskade fließen, um in drei Stufen herabzustürzen und sich in einem Bassin vor der halbkreisförmigen Kaskade zu sammeln. Abschließend sollte das Wasser von einem dreipaßförmigen Becken aufgefangen werden, das sich in die Kaskadengestalt einfügte. Spätestens seit 1749 wurde an der Umsetzung der Anlage gearbeitet. Wie anhand dieses Bauprojekts deutlich wird, übte der Bauherr selbst Einfluß aus, indem er nicht nur bekannte Künstler seiner Zeit zur Entwurfsplanung heranzog, sondern mit eigenen Vorstellungen in die Gestaltung eingriff.
Anregungen für die Gestaltung des Gartens und insbesondere der Wasserkünste versuchte Landgraf Wilhelm VIII. unter anderem in englischen Gärten zu finden. Dieses Ansinnen verband sich wohl mit den Beschreibungen englischer Garten- und Parkanlagen, die der Generalmajor von Fürstenberg während eines Aufenthalts in England anfertigte und dem Landgrafen zusandte (Eisentraut 1907, S. 77f.). So machte er in einem Brief vom 29.08.1756 auf die Wasserkünste im Garten von Lord Portsmouth in Winchester aufmerksam, deren Wasserverlauf durch das Setzen von Widerständen eine lebhafte Oberflächengestaltung erhalten hatte (Eisentraut 1907, S. 101f. u. 109; Bleibaum 1932, S. 35f.; s. GS 4806a - GS 4806d). Wilhelms Vorstellungen von der Schönheit eines Wasserspiels verbanden sich jedoch mit einer Gleichmäßigkeit und Ruhe des Falls, so daß er ein derartiges Vorgehen bei der Kaskadengestaltung nicht in Betracht zog (Eisentraut 1907, S. 104). Aus dem Briefwechsel geht hervor, daß sich die Kaskade im Oktober 1756 noch in Bau befand (Eisentraut 1907, S. 110).
Trotz der Bedeutung, die gerade diesem Teil der Gartenarchitektur planerisch zukam, ist seine Vollendung nicht erreicht worden. Heute zeugen nur das Wasserbassin hinter dem Schloß und die als große runde Geländeeintiefung erkennbaren Umrisse des Wasserreservoirs auf der Höhe des Weinbergs von den weitreichenden Planungen der Wasserkünste von Wilhelmsthal.

Stand: September 2004 [MH]




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