3.28.2 Liebfrauenkirche


"Die Pfarrkirche zu Frankenberg ist eins der bedeutendsten Denkmäler des gothischen Baustyls in den hessischen Landen, ein wichtiges Glied der Gruppe gothischer Hallenkirchen, welche bald nach der herrlichen Elisabethkirche zu Marburg und wesentlich beeinflusst von dieser entstanden sind [...]" (Dehn-Rotfelser 1882, S. 2).
Die Frankenberger Liebfrauenkirche ist als dreischiffige kreuzförmige Hallenkirche errichtet worden. Mit ihrem polygonalen Abschluß von Chor und Querhausarmen und dem dreischiffigen, durch kantonierte Pfeiler gegliederten Langhaus weist sie sich als Filiation der Marburger Elisabethkirche aus, wenngleich sie sich mit der verlängerten Chorgestalt sowie dem eingestellten Westturm auch deutlich von ihr unterscheidet. Besonders bemerkenswert ist der heute leider nur noch in Resten erhaltene Bauschmuck der Kirche. Der überwiegende Teil wurde im Zuge des Bildersturms in den Jahren 1606/07 zerstört. Die mit reichem Blattwerk und phantasievollen Masken geschmückten Konsolen am Außenbau der Marienkapelle sowie die kleine Figurengruppe im Kirchenraum zeugen von dem ehemals vorhandenen qualitätvollen Skulpturenprogramm.
Die Arbeiten zu dem mittelalterlichen Kirchenbau setzten im Jahr 1286 ein. Um 1300 war der Chor vollendet, der noch im Verlauf des 14. Jahrhunderts erhöht, verlängert und schließlich 1353 geweiht wurde. Das vierjochige Langhaus war um 1337 fertiggestellt. Die Westjoche der Seitenschiffe sowie der Turm konnten 1359 vollendet werden. Um 1370/80 wurde dem Bau am südlichen Querarm eine Marienkapelle hinzugesetzt, deren Planung und Realisierung Tyle von Frankenberg durchführte. Durch einen Stadtbrand im Jahr 1476 wurde die Kirche so stark beschädigt, daß 1478 die Gewölbe erneuert werden mußten (David-Sirocko 1997, S. 328).
Die neuzeitlichen Bauaktivitäten waren vor allem eine Folge der schlechten Bausubstanz der Kirche. Insbesondere die schadhafte Dachkonstruktion beschäftigte Landbaumeister und Konsistorium (StAM Best. 190a Frankenberg, Nr. 63 u. 64). Nach einem Teileinsturz mußte das Chorgewölbe mit einer Bretterdecke versehen werden. Noch vor den 1830er Jahren erfolgte die Neubedachung der Marienkapelle (Dehn-Rotfelser 1882, S. 4). Die Gewölbe des Hochchors wurden erst 1866 geschlossen. Zwischen 1864 und 1868 erhielt das Langhaus eine neue Bedachung, die das nach dem Stadtbrand im Jahr 1478 aufgeführte Satteldach ersetzte. Gemäß der ursprünglichen Form wurde nur über dem Mittelschiff ein Satteldach errichtet. Über den Seitenschiffjochen entstanden - vergleichbar der Marburger Elisabethkirche - quer gestellte Walmdächer.
Auch das Kircheninnere veränderte sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Neben oberflächlichen Instandsetzungen, wie dem Streichen von Deckengewölben und Wänden, beeinflußte die Verlegung der Orgel von Ost nach West und der Ausbau der Empore den Innenraum am nachhaltigsten. Einige geplante Instandsetzungsmaßnahmen konnten aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden, wie die Restaurierung des teilzerstörten Skulpturenschmucks der Marienkapelle (Tympanonfeld über dem Portal, Figuren der Altarwand, s. StAM Best. 190a Frankenberg, Nr. 137, 15.8.1872, Kostenanschlag von Carl Schäfer über Wiederherstellungs-Arbeiten an der lutherischen Pfarrkirche zu Frankenberg).
Nach einem Entwurf von Georg Gottlob Ungewitter wurde in den Jahren 1864-1871 der Ausbau des unvollendet gebliebenen Westturms betrieben. Ungewitter war bereits 1858 beauftragt worden (David-Sirocko 1997, S. 329), die anstehenden Reparaturen zu begutachten (StAM Best. 190a Frankenberg, Nr. 63, 8.9.1858 u. 16.3.1859) und schließlich auch zu begleiten, nachdem der zuständige Landbaumeister Nicolaus Arend 1864 wegen Arbeitsüberlastung gebeten hatte, von weiteren Arbeiten entbunden zu werden (StAM Best. 190a Frankenberg, Nr. 63, 13.4.1868). Ungewitters Tod im selben Jahr verhinderte dessen Beteiligung jedoch, und die Bauleitung ging an seinen Schüler Peter Zindel über. Der ausgeführte Turmentwurf wurde in leicht vereinfachter Form (ohne die Gauben) von Dehn-Rotfelser abgebildet (s. L GS 7910). Der Marburger Architekt Carl Schäfer überarbeitete im Jahr 1872 Risse und Restaurierungspläne der Kirche (StAM Best. 190a Frankenberg, Nr. 137, 15.8.1872; s. a. StAM P II 7406) und bezog die Marienkapelle mit in den Maßnahmenkatalog ein (StAM Best. 190a Frankenberg, Nr. 63, 14.8.1874). Im Hessischen Staatsarchiv Marburg befindet sich ein Konvolut mit Zeichnungen, das als "Project Ungewitters" bezeichnet und mit Erläuterungen von Schäfer versehen ist (StAM P II 7407/2-7; u. a. zur Aufstockung der Sakristei StAM P II 7407,5). Schäfers Anteil an den ausgeführten Arbeiten ist indes umstritten (zuletzt David-Sirocko 1997, S. 329; s. a. Schuchard 1979, S. 14 u. 73).
Zum Bestand der Graphischen Sammlung gehört ein Konvolut aus 36 Blättern mit Darstellungen der Liebfrauenkirche in Frankenberg. Zehn Blätter sind als Leihgabe vom Verein für hessische Geschichte und Landeskunde ins Haus gekommen und stehen in Zusammenhang mit einer Publikation über den Kirchenbau, die Heinrich von Dehn-Rotfelser zusammen mit dem Architekten Fritz Köberlein im Jahr 1882 veröffentlichte. Die baumonographische Abhandlung sollte die begonnene Reihe von mittelalterlichen Baudenkmälern in Kurhessen, herausgegeben vom Verein für hessische Geschichte und Landeskunde, fortsetzen. Dehn-Rotfelser begann mit den Arbeiten an diesem Werk bereits 1866, einige der Zeichnungen sind auch in diesem Jahr entstanden (L GS 7910 - L GS 7913). Diesen Zeichnungen gingen Bauaufnahmen voraus, die Dehn-Rotfelser nach eigener Aussage zwischen 1862 und 1866 in Auftrag gegeben hatte und die von F(riedrich). Hoffmann, damals Baurat in Fulda, und A(ugust). Schuchard, dem damaligen Kreisbauinspektor in Kassel, angefertigt wurden. Dehn-Rotfelsers Aktivität stand in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im "Kurhessischen Architektenverein", der sich die zeichnerische Aufnahme von bedeutenden Baudenkmälern Hessens zur Aufgabe gemacht hatte. Zu den 1860 zur Erfassung ausgewählten zwölf Objekten zählte auch die "Kirche in Frankenberg nebst ihrer schönen Kapelle" (Dolff-Bonekämper 1985, S. 173; Periodische Blätter, Nr. 15/16, Jan. 1861, S. 433). Die politischen Veränderungen des Jahres 1866 und die Beauftragung Dehn-Rotfelsers mit dem "Inventarium der Baudenkmäler im Regierungebezirk Cassel" ließen das Projekt jedoch in den Hintergrund treten. Bei der Wiederaufnahme der Arbeiten in den 1880er Jahren wurde Fritz Köberlein, ein Architekt aus Gera, mit der Anfertigung der noch ausstehenden sechs Darstellungen der Kirche beauftragt. Bis dahin lagen, wie Dehn-Rotfelser in dem Vorwort zu der Publikation schreibt, "ausser einigen Einzelheiten in Ungewitter's gothischem Musterbuch und Lehrbuch der gothischen Constructionen und einer äusseren Ansicht in den malerischen Ansichten von Hessen [...] keine brauchbaren Abbildungen der Pfarrkirche zu Frankenberg" vor (Dehn-Rotfelser 1882, S. III). Das 1808 erschienene Werk von Bernhard Hundeshagen beschäftigte sich nur mit der Marienkapelle und hatte nach Aussage von Dehn-Rotfelser zudem "unvollkommene und fehlerhafte Abbildungen". Dehn-Rotfelser sah seine Arbeit als einen "der ersten Versuche in der Darstellung gothischer Architekturformen nach der langen Zeit, in der unsere gothischen Bauwerke fast gar keine Beachtung mehr gefunden hatten, und als ein Beweis, in welchem Grade man verlernt hatte, gothische Formen richtig aufzufassen und darzustellen" (Dehn-Rotfelser 1882, S. III).
Ein weiteres Konvolut mit 27 Zeichnungen der Liebfrauenkirche, das sich heute in der Graphischen Sammlung befindet, stammt aus der Akademie der bildenden Künste in Kassel. Dehn-Rotfelser berichtet in seinem Vorwort über eine "vollständige Darstellung der Kirche in Rissen, Ansichten und Detailzeichnungen", die um das Jahr 1830, hauptsächlich auf Anregung des damaligen Professors Hummel, von den Schülern der Akademie in Form einer Bauaufnahme angefertigt worden sind (Dehn-Rotfelser 1882, S. III). Zweifelsohne sind die Blätter Teil dieses Bestands, wenn sie nicht sogar den gesamten Bestand darstellen. Alle Blätter sind betitelt und haben in der rechten oberen Ecke eine Nummer in römischen Ziffern, was auf eine geplante Publikation hindeuten könnte. Einige der Blätter sind gerahmt und auf einen grünbraunen Karton (GS 12088, GS 12089, GS 13383, GS 13384, GS 13386) aufgeklebt worden. Es gibt deutliche Parallelen zu dem Konvolut mit Darstellungen der Korbacher Kilianskirche, die ebenfalls als Schülerarbeiten von denselben Personen angefertigt wurden.

Stand: August 2007 [MH]




© Hessen Kassel Heritage 2024
Datenschutzhinweis | Impressum