3.33.4 Ehemalige Stiftskirche St. Peter


Der auf eine Gründung des hl. Bonifatius im Jahr 724 zurückgehende Bau der Stiftskirche St. Peter erhielt seine heutige Gestalt ab dem späten 11. Jahrhundert. Aus dieser Anfangszeit erhalten sind die Querschiffmauern, Teile der nördlichen Seitenschiffwand, Bereiche des Westquerbaus sowie die Haupt- und Nebenkrypten. Um 1180 bis gegen 1200 erfolgte die Neugestaltung der Hauptapsis und des Querschiffs, das zusammen mit dem Chor erstmals eine Einwölbung erhielt. Zu gleicher Zeit wurde der Westbau als Doppelturmfront umgestaltet. Im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts entstand das neue Langhaus in der Form eines gebundenen Systems mit Wölbung. Mit dem Vorbau des Paradieses um 1232 und dem Anbau des zweiten südlichen Seitenschiffes sowie der Vergrößerung der Querhaus- und einiger Chorfenster kam die Formung des Kirchenbaus zu einem Abschluß, wenn auch die Innenausstattung im Barock umfassend erneuert wurde.
Weitere Eingriffe in die Bausubstanz erfolgten ab dem frühen 19. Jahrhundert im Rahmen von Instandhaltungs- und Restaurierungsmaßnahmen. So wurde zunächst der Dachreiter auf der Vierung verändert und 1845 das nördliche Chordach als Schleppdach über die Nordkapelle gezogen. Gravierende Bauschäden entstanden infolge eines Sturmes 1868, bei dem der Südturm der Westfassade einstürzte und mehrere Langhausgewölbe durchschlug. Die Behebung der Schäden wurde ab 1873 mit einer idealisierenden Rekonstruktion der Turmgiebel und -helme nach Plänen von Carl Schäfer verbunden. Daneben wurden Teile des Langhausgewölbes erneuert und die Rundbogenfenster des nördlichen Seitenschiffs überarbeitet (Humbach 2005).
Nach dem Abschluß der Sanierungsarbeiten am Außenbau verzog Schäfer nach Berlin und stand für die weiteren Arbeiten in Fritzlar nur noch eingeschränkt zur Verfügung. Als er die Ausarbeitung von Plänen für eine Restaurierung der Stiftskirche im Inneren und für eine neue Kirchenausstattung verzögerte, entschied sich die Kirchengemeinde 1879 dafür, den Auftrag zur Erarbeitung eines Gesamtkonzepts für die weiteren Restaurierungsarbeiten an den neu nach Kassel berufenen Professor Hugo Schneider zu vergeben. Schneider schien als Ungewitter-Schüler und aufgrund seiner Arbeiten im Rheinland für diese Arbeit geeignet; dem Fritzlarer Dechanten Kreisler war Schneider durch seine ausgedehnte Korrespondenz mit Aachener Geistlichen und Künstlern bereits bekannt.
1882 legte Hugo Schneider mehrere Entwürfe - es handelte sich um insgesamt zwölf Pläne, von denen zehn im Kasseler Nachlaß erhalten sind - und einen ausführlichen Erläuterungsbericht für die Fortsetzung der Restaurierungsarbeiten vor. Im Rahmen seines Konzepts sah Schneider sieben größere Maßnahmen vor, zu denen die Umgestaltung des Chores und der Sakristei, die Rückführung des Dachreiters auf die frühere Form, kleinere Ausbesserungen und Korrekturen am Außenbau, der Umbau der Orgelempore, die Neugestaltung des Kryptazugangs und des Choraufgangs, die Anlage eines Pfarraltars sowie eine Neufassung des Kirchenraums und dessen Ausstattung zählten.
Obwohl das Genehmigungsverfahren eingeleitet war, wurde das Projekt nicht umgesetzt, da die treibende Kraft seitens der Pfarrgemeinde, Dechant Kreisler, ab 1884 aufgrund einer schweren Erkrankung nicht mehr handlungsfähig war. Schneider erhielt jedoch den Auftrag für mehrere Möbelstücke und für die Restaurierung des Kreuzgangs, der er sich in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre widmete.
Nachdem 1899 Julian Seipel zum Dechanten und Pfarrer von Fritzlar ernannt worden war, versuchte er erneut, Schneiders Projekt zur Ausführung zu bringen. Er kannte den Architekten aus seiner Zeit als Pfarrer von Niederklein, als er Schneider 1886/87 dafür gewinnen konnte, die barocke Saalkirche des Ortes im Inneren neogotisch umzugestalten und auch Entwürfe für neue Altäre anzufertigen. Seipel legte die Pläne Schneiders von 1882 dem bischöflichen Generalvikariat Fulda und dem Ministerium der geistlichen Angelegenheiten in Berlin zur Genehmigung vor und konnte zumindest die Unterstützung des Bistums erlangen. Das Ministerium überwies die Angelegenheit zunächst an den zuständigen Provinzialkonservator, Ludwig Bickell in Marburg, zur Stellungnahme, der sich 1900 gegen Schneiders Entwürfe aussprach. Sie entsprächen in ihrem Streben nach Stilreinheit nicht mehr dem aktuellen Stand der Denkmalpflege, griffen tief in die Bausubstanz ein und tilgten historische Spuren insbesondere der Gotik und der Barockzeit, die gerade die Lebendigkeit des Bauwerks ausmachten. Ein Pfarraltar sei zwar wünschenswert, Schneiders Projekt aber mit zuviel anderem verquickt, die Planungen für den Chorbereich, die Sakristei und die Dächer seien destruktiv und ahistorisch, eine neogotische Kanzel unnötig, und auch die Erneuerung des Vierungsturms sei so lange aufzuschieben, bis die Maßnahme tatsächlich notwendig sei.
Da sich Seipel umgehend und mit vielen Argumenten gegen Bickells Gutachten wandte, erzwang er, daß im September 1901 eine Kommission aus Pfarr- und Bistumsvertretern, Denkmalpflegern und Beamten aus dem Kultusministerium in Berlin und dem Regierungspräsidium Kassel unter Hinzuziehung Schneiders zusammentrat. Dabei wurden einige Verbesserungswünsche der Pfarre durchaus konzidiert, Schneiders Planungen von 1882 im ganzen aber verworfen. Er wurde aber damit beauftragt, nochmals Pläne für die Umgestaltung der Orgelbühne und einen neuen Pfarraltar auszuarbeiten, jedoch behutsamer mit der historischen Substanz umzugehen. Bis 1902 entstanden tatsächlich einige Skizzen und ein neuer Kostenanschlag, die aber 1903 von Bickells Nachfolger von Drach als zu skizzenhaft verworfen wurden. Die weitere Ausarbeitung blieb in einer langen Auseinandersetzung zwischen dem preußischen Staat und der Pfarre um die jeweiligen Pflichten zur baulichen Unterhaltung der Kirche stecken. Erst im Zuge der großen Inneninstandsetzung der Jahre 1913-1920 wurden die unteren Werke der Barockorgel und der Orgelempore im Sinne Schneiders abgebrochen, das Orgelwerk zurückversetzt und eine neue Brüstung angelegt.
Zur Restaurierungstätigkeit von Hugo Schneider am Dom zu Fritzlar ist eine wissenschaftliche Publikation (Konnegen/Pohle) in Vorbereitung, die die Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen bildet.

Stand: September 2007 [LK/FP]




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