3.76.6 Alte Universität


Die Alte Universität in Marburg, das ehemalige Hörsaal- und Verwaltungsgebäude der Philipps-Universität, wurde auf dem Gelände des 1291 gegründeten, 1527 in den Besitz der Universität gelangten Dominikanerklosters errichtet. Die Räumlichkeiten hatten sich spätestens nach der Eingliederung Kurhessens in Preußen als unzureichend erwiesen. 1874-1879 entstand deshalb anstelle der alten Anlage das Auditoriengebäude sowie 1887-1891 die Aula, entworfen vom Marburger Universitätsarchitekten Carl Schäfer im neogotischen Stil (Schuchard 1979, S. 208-223; Stamm-Burkart 2003).
Die erste Planungs- und Bauphase betraf den Bau eines Auditoriengebäudes, das sich an die ehemalige Dominikanerkirche im Norden und an die alte Aula im Osten, die zunächst nur im Innern umgebaut werden sollte, anschließen sollte. Nach einer ersten Skizze erarbeitete Carl Schäfer unter großem Zeitdruck bis zum 20.10.1872 einen Satz von dreizehn Projektzeichnungen (I-XII mit Ausnahme des fehlenden Blattes II in der Graphischen Sammlung, Marb. Dep. II, 13 - Marb. Dep. II, 23, Blatt XIII im Hessischen Staatsarchiv Marburg, StAM P II 3582). Nach der Revision durch die zuständigen Behörden begann im Sommer 1873 der Abbruch der alten Gebäude. Im April 1874 konnte nach der Fertigstellung der Fundamentarbeiten mit der Ausführung des aufgehenden Mauerwerks angefangen werden. Von Beginn an gab es jedoch immer wieder Differenzen zwischen Schäfer und dem Königlichen Universitäts-Curatorium, der vorgesetzten Behörde. Deshalb wurde am 11.12.1874 Bau-Inspektor Hermann Cuno die Oberaufsicht und Kontrolle übertragen. Die andauernden Auseinandersetzungen mit diesem und dem Kuratorium (vgl. die Akte StAM Best. 190a Marburg, Nr. 1047) führten schließlich am 21.11.1877 zur Entlassung Schäfers aus seiner Stellung als Universitätsarchitekt. Zu diesem Zeitpunkt waren der viergeschossige Teil des Südflügels und dessen Annex weitgehend fertiggestellt, während die anderen Bauten erst begonnen worden waren. Zum Universitätsarchitekten wurde nun Hermann Cuno berufen, der bis zur Einweihung des Auditoriengebäudes 1879 amtierte (Stamm-Burkart 2003, S. 20ff.).
Die alte Aula sollte nach Schäfers ursprünglichen Plänen von 1872 nur ausgebaut werden, 1875 entschied man sich aber für Abbruch und Neubau an derselben Stelle. Schäfer legte daraufhin eine Serie von acht Zeichnungen vor (Marb. Dep. II, 24 - Marb. Dep. II, 31), die jedoch nicht zur Revision gelangte, da vorerst für ein Neubauprojekt kein Geld vorhanden war. Als das Vorhaben zehn Jahre später wieder aktuell wurde, lieferte Schäfer neue Skizzen, die dann von dem nun amtierenden Universitätsarchitekten M. Wentzel ausgearbeitet wurden. 1887 wurde die alte Aula abgebrochen. Die Leitung des Neubaus übertrug man Regierungsbaumeister Zöllfel. Der gesamte Bau konnte zum Sommersemester 1891 bezogen werden, die festliche Einweihung der Aula fand am 19.6.1891 statt.
Der Bauplatz am südöstlichen Eckpunkt der am Berghang gelegenen Altstadt besaß ein starkes Gefälle (von Norden nach Süden 17 m), das ebenso wie der stehengebliebene Kirchenbau in den Planungen Schäfers berücksichtigt werden mußte. 1888 publizierte Schäfer einen Aufsatz über den "Neubau der Universitäts-Aula in Marburg" (abgedruckt in: Schäfer 1910, S. 377-384), in dem er, aufbauend auf seinen Aufsatz von 1872 ("Zur Geschichte des alten Universitätsgebäudes zu Marburg", abgedruckt in: Schäfer 1910, S. 81-86) den Baubefund referiert und versichert, "im großen ganzen ist überhaupt beim Entwurfe des Grundrisses die Erinnerung an die alte Klosteranlage festgehalten worden" (Schäfer 1910, S. 382).
Die Einbindung des Baues in das spätmittelalterliche Stadtbild Marburg war schon im Gutachten der Abteilung für das Bauwesen nachdrücklich gefordert worden: "Die Architektur [ist …] im Anschlusse an die strenge und edle Schule, aus welcher die Elisabethkirche und das Schloß stammt und in Harmonie mit diesen Denkmalen, als den höchsten Zierden mittelalterlicher Bauweise in Marburg zu halten" (Gutachten vom 19.8.1872, StAM Best. 165, Nr. 7429, zit. nach Stamm-Burkart 2003, S.80). Darüber hinaus erhielt der Gebäudekomplex nach Schäfers Vorstellung nicht nur äußerlich 'gotische' Formen, sondern wurde in alter Handwerkstechnik mit traditionellen Materialen unter Ausschluß von Eisen und Beton errichtet. Dies führte teilweise zu Konflikten mit dem Anspruch der Universität an Funktionalität.
"Die Enge des Bauplatzes und seine schwierige Hanglage haben im Verein mit dem Vorgängerbau und den mittelalterlichen Bauten Marburgs Schäfer zu einem Architekturensemble inspiriert, das auf den Charakter des Stadtbildes Rücksicht nimmt und sich ihm eingliedert, ohne dabei seine Autonomie einzubüßen" (Schuchard 1979, S. 220).

Stand: August 2007 [UH]




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