4.1.3 Dom (Münster)


Die heutige Domkirche St. Marien zu Aachen zählt aufgrund ihrer Geschichte und des hohen Ranges ihrer Architektur zu den außergewöhnlichsten Sakralbauten des Mittelalters.
Der Gründungsbau entstand in den letzten Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts als Stiftskirche innerhalb der Aachener Pfalzanlage, die Karl der Große anstelle eines fränkischen Königshofes errichten ließ. Der karolingische Zentralbau besteht aus einem zentralen, überwölbten Oktogon mit einem doppelgeschossigen, als Sechzehneck konzipierten Umgang und zeigt wesentliche Anklänge an die byzantinische Sakralarchitektur. 814 wurde Karl der Große in der Pfalzkirche bestattet. Die Krönung Ottos I. im Aachener Münster begründete 936 den Status als Krönungskirche der römisch-deutschen Könige, eine Tradition, die bis 1531 fortbestand. Ab dem 14. Jahrhundert entwickelt sich die Aachener Münsterkirche zudem zu einem der wichtigsten mittelalterlichen Wallfahrtsorte. Ziel der Pilgerfahrt ist noch heute die im siebenjährigen Turnus stattfindende Heiligtumsfahrt, in deren Zentrum mit dem Kleid Mariens, den sog. Windeln Jesu, dem Lendentuch Christi und dem Enthauptungstuch Johannes des Täufers vier Textilreliquien stehen.
Das Krönungskapitel bestand bis zu seiner rechtlichen Aufhebung durch die französische Verwaltung 1802 fort. Zwischen 1802 und 1821 wurde die Stiftskirche erstmals Bischofsitz. Die endgültige Erhebung zur Kathedrale erfolgte mit der Gründung des zweiten Bistums Aachen 1930.
Die erweiterte Nutzung des Kirchenraums als Krönungsstätte und Wallfahrtsort erforderte im Laufe der Zeit Veränderungen des karolingischen Ursprungsbaus. An die Stelle karolingischer Annexbauten an der Nord- und Südseite des Domes traten zunächst romanische Kapellen, die ab dem 14. Jahrhundert zugunsten der bis heute erhaltenen vier gotischen Kapellenanbauten niedergelegt wurden. Den bedeutendsten Eingriff bildete aber die Errichtung der gotischen Chorhalle in der Zeit zwischen 1355 und 1414.
Mehrfache Beschädigungen der Dächer, vornehmlich durch Brände, führten seit 1124 zunächst zur Erhöhung des zentralen Oktogons um eine romanische Blendgalerie und Ziergiebel. Im 13. Jahrhundert erhielt der Westbau einen gotischen Turmabschluß, dessen Konzeption mit einem Galerie- und Kapellengeschoß der Nutzung als Raum der öffentlichen Reliquienweisung während der Wallfahrten Rechnung trug. Diese Turmanlage sowie die weitere Dachlandschaft des Kirchenbaus wurden beim großen Aachener Stadtbrand 1656 zerstört. Vom gotischen Turm blieb allein das untere der beiden Geschosse erhalten, auf dem ein provisorisches Glockengeschoß sowie eine barocke Dachhaube errichtet wurden.
Mit dem Neubau der Ungarischen Kapelle ab 1748, der an die Stelle einer gotischen Kapelle aus dem 14. Jahrhundert trat, und dem Bau einer Vorhalle 1788 fand die äußere Gestaltung der Münsterkirche bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein einen Abschluß.
Im Laufe zahlreicher Restaurierungsmaßnahmen wurde seit 1869 die innere Raumdekoration im neobyzantinischen Stil erneuert und für den Chorraum ab 1872 eine neogotische Altarausstattung erstellt, an deren Konzeption Hugo Schneider mitwirkte. Wesentliche Überarbeitungen des Außenbaus betrafen seit 1851 die Wiederherstellung der Zierelemente und des Figurenschmucks an den gotischen Kapellen und der Chorhalle sowie den Ausbau des Westturms zwischen 1879 und 1884 nach Plänen von Hugo Schneider. Als Entwurfsgrundlage für den neogotischen Turmaufbau dienten Schneider zahlreiche Darstellungen der gotischen Turmanlage (u. a. eine Silberstiftzeichnung Albrecht Dürers, die sich heute im British Museum in London, Abteilung Handzeichnungen, Inv.Nr. 1895-9-15-982, befindet). Das Stiftskapitel als Auftraggeber legte besonderen Nachdruck auf die fortgesetzte Nutzbarkeit des oberen Turmgeschosses im Rahmen der Heiligtumsfahrt, so daß Schneider an dieser Stelle eine offene Galerie und zwei Seitenkapellen ausführte, wie sie bereits zur gotischen Anlage gehört hatten.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde die südliche Turmkapelle durch einen Granattreffer zerstört und ab 1963 vom Dombaumeister Felix Kreusch (1904-1985) in Anlehnung an den Entwurf von Hugo Schneider erneuert. Die Ausführung der Bauzierteile wie Wasserspeier und die Konsolen der Dienste im Kapelleninneren erfolgte in betont moderner Formgebung.
Infolge von Kriegszerstörungen in der Chorhalle erhielt der Chorraum bis 1951 eine schlichte zeitgenössische Altarausstattung, zu deren Gunsten die neogotischen Altäre des 19. Jahrhunderts demontiert wurden.

Stand: September 2007 [LK]




© Hessen Kassel Heritage 2024
Datenschutzhinweis | Impressum