4.11.4 Kaiser-Wilhelm-Denkmal


Der Tod Kaiser Wilhelms I. am 9. März 1888 löste in ganz Deutschland eine Welle von Denkmalserrichtungen aus. Kaiser Wilhelm "der Große" sollte als Reichsgründer gebührend geehrt werden, auch und gerade in Berlin. Am 30. Januar 1889 wurde ein Wettbewerb für ein zentrales, in der Reichshauptstadt zu errichtendes Nationaldenkmal, gewidmet von der ganzen Nation, zur Verherrlichung des Kaisers und der Reichsgründung ausgelobt. Obwohl die Wettbewerbsbedingungen insofern eingeschränkt waren, als nur deutsche oder deutschsprachige Künstler zugelassen waren, nahmen 147 Architekten und Büros an der Konkurrenz teil - darunter auch Hugo Schneider, der als Kennzeichnung der anonym einzuliefernden Pläne drei Kronen wählte (s. allgemein zum Wettbewerb Blankenstein 1889; Hoßfeld 1889).
Noch im selben Jahr wurden die Wettbewerbsentwürfe in einem Saal der Ausstellung für Unfallverhütung in Berlin öffentlich ausgestellt und von einer großen, Honoratioren, Künstler und Architekten sowie Stadt- und Staatsbeamte umfassenden Jury unter großer Aufmerksamkeit der Tagespresse bewertet. Gefordert war neben einer perspektivischen Darstellung und einer städtebaulichen Einordnung, Grundrissen und Ansichten auch ein Modell des jeweils geplanten Denkmals.
Der Wettbewerb war in starkem Maße ein Ideenwettbewerb. Zwar war im Hintergrund das monumentale Denkmal für König Vittorio Emanuele in Rom, das sich damals bereits im Bau befand, als vergleichbare Aufgabenstellung und internationaler Maßstab präsent, doch war bei der Ausschreibung noch nicht abschließend geklärt, ob architektonische oder eher bildhauerische Lösungen zu bevorzugen wären, und auch der Standort des künftigen Denkmals war noch offen. Die Wettbewerbsjury hatte bei Auslobung sieben mögliche Standorte in Vorschlag gebracht, für die sich auch jeweils Bearbeiter fanden. So wählten 22 Bewerber die Schloßfreiheit in unmittelbarem Kontext mit dem Stadtschloß, sechs einen Platz an der Schloßbrücke, neun den Opernplatz, 23 den Pariser Platz, 27 den Platz vor dem Brandenburger Tor, 27 die Charlottenburger Chaussee, neun die Siegesallee und elf den Königsplatz vor dem Reichstag. Einzelne wichen sogar von diesen Vorschlägen ab und entschieden sich für andere Orte in Berlin - so für das Gelände der Universität, den Platz vor der Kunstakademie usw. Die Behandlung der Wettbewerbsaufgabe hing wesentlich von der Wahl des Standorts ab; Opernplatz und Schloßbrücke etwa ließen nur räumlich begrenzte bildhauerische Lösungen zu - also Denkmäler ohne architektonischen Hintergrund.
Hugo Schneider gehörte zu jenen Wettbewerbsteilnehmern, die für ihren Entwurf den Platz vor dem Brandenburger Tor wählten, also einen Ort außerhalb Alt-Berlins, doch in enger räumlicher Anbindung an die Kernstadt und an der Nahtstelle von Charlottenburger Chaussee und der Straße Unter den Linden. Dadurch hatte Schneider einen freien Platz für eine großzügige, architektonisch ausgefeilte Denkmallösung zur Verfügung und mußte zudem keine Rücksicht auf vorhandene Bebauung nehmen; das Brandenburger Tor bildete eher ein Gegenüber als eine räumlich-visuelle Konkurrenz für das neue Bauwerk. Er konnte den Platz und den Standort des Kaiserbilds selbst definieren.
Hinsichtlich der Ausgestaltung des Kaiserbilds selbst traf Schneider durchaus den Geschmack der Jury. Diese bevorzugte in jedem Fall ein Reiterstandbild, wollte aber mehrheitlich weder eine Darstellung nach mittelalterlichem Kaisertypus mit Krone und Hermelin als dem Wesen Wilhelms nicht entsprechend, noch den einfach gekleideten Herrscher in seiner Alltagsuniform. Schneider fand hier einen durchaus tragfähigen Kompromiß. Der gewählte Standort vor dem Brandenburger Tor fand aber keine Zustimmung. Die Jury kam überein, daß dieser trotz der vielen Bewerber, die sich für ihn entschieden hatten, ungeeignet sei: Er gehöre zu den verkehrsreichsten, unruhigsten der Stadt und schließe die ungestörte Betrachtung des Denkmals nahezu aus. Schneiders Entwurf befand sich daher nicht unter den Ausgezeichneten, wenn er auch von Geheimrat Hoßfeld vom preußischen Kultusministerium in einem offiziellen Bericht über den Wettbewerb und die Bewertungsmaßstäbe der Jury immerhin erwähnt und kritisch gewürdigt wird: "Zu einem vollen Halbkreise bildet der architektonische, ebenso hübsche wie anspruchslos dargestellte Entwurf Nr. 83 mit dem Merkzeichen dreier Kronen den Denkmalhintergrund aus. Die auf der Rückseite geschlossenen, bildergeschmückten Bogenhallen werden in der Mitte durch einen reichen und dabei zierlichen Aufbau mit geschweifter Thurmhaube unterbrochen. Vor seiner Giebelnische steht das Kaiserbild auf halbkreisförmigem, in ein Brunnenbecken vorgeschobenem Unterbau, zu dem geschwungene Rampen emporführen. Die Eigenart der Erfindung verdient vollen Beifall, nur vermag das festlich heitere Gepräge des Ganzen den Mangel ruhiger und einfacher Größe nicht zu ersetzen, die man bei einem Denkmale Kaiser Wilhelms nicht missen will" (Hoßfeld 1889, S. 15).
Zwei architektonische Arbeiten (von Rettig & Pfann und von Bruno Schmitz, beide Berlin) errangen einen ersten Preis, vier Bildhauerarbeiten zweite Preise - und zwar nicht wegen ihrer Standorte und architektonischen Lösungen, sondern ausschließlich wegen der Durchbildung des Kaiserbildnisses selbst. Die Jury war mit dem Wettbewerb insgesamt zufrieden, sah aber noch keinen Entwurf als uneingeschränkt realisierbar an. Der Zweck des Verfahrens, so Hoßfeld, "die Vorfragen zu klären, ist nach allen Richtungen hin erfüllt, sei es auch zum Theil in verneinendem Sinne. [...] Eine engere Preisbewerbung, an die ja von vornherein gedacht war, wird nicht zu umgehen sein. Bei ihr aber müßte der Kreis der zu beteiligenden Künstler so eng als möglich gezogen und mit einem Programm versehen werden, welches keine der allgemeinen Fragen mehr offen läßt und ein abschließendes Ergebnis gewährleistet" (Hoßfeld 1889, S. 20).
Das weitere Verfahren geriet dann jedoch ins Stocken - einerseits weil es unüberbrückbare Gegensätze hinsichtlich des Standorts des Denkmals in der Jury selbst gab, andererseits und vor allem aber, weil Kaiser Wilhelm II. intervenierte und eigene Vorstellungen einbrachte. Er wandte sich gegen "riesenhafte Tempelbauten" - Rettig und Pfann etwa sahen eine 40 m hohe Denkmalhalle mit dem Reiterstandbild Wilhelms I. gegenüber dem Reichstag vor, deren Anbauten bei stolzen 130 m Fassadenlänge die architektonischen Massen und Hauptgliederungen des Reichstagsgebäudes aufnehmen sollten - und verlangte eine doch nur bildhauerische Lösung auf dem Platz der Schloßfreiheit. Ein erneuter Wettbewerb für diesen Standort mit reduziertem Etat wurde ausgelobt, aus dem der Bildhauer Reinhold Begas als Sieger hervorging. Begas entwarf ein Reiterdenkmal mit Assistenzfiguren in der Höhe eines vierstöckigen Hauses. 1894 begannen die Arbeiten, im Frühjahr 1897 erfolgte die feierliche Einweihung des Denkmals. 1949/50 wurde es - wie auch das Berliner Stadtschloß - abgetragen (s. Preisgekrönter Entwurf 1889; zum Abriß s. ).

Stand: September 2007 [LK]




© Hessen Kassel Heritage 2024
Datenschutzhinweis | Impressum