4.53.1 Stifts- und Pfarrkirche St. Maria


Ein vierteiliges Konvolut mit Darstellungen der Stiftskirche von Obernkirchen kam 1980 im Rahmen des Marburger Depositums in die Graphische Sammlung. Die von dem Baukondukteur Otto Gustav Koppen angefertigten Zeichnungen beziehen sich auf geplante Veränderungen des Kirchenraums. Dabei sind zwei der Zeichnungen Bauaufnahmen, die den damaligen Zustand abbilden. Die beiden anderen Blätter beziehen sich auf die geplanten Umbauten. Durch das datierte Whatman-Wasserzeichen der Blätter Marb. Dep. 248a und Marb. Dep. 248d kann das Entstehungsjahr der Zeichnungen zumindest auf das Jahrzehnt der 1850er Jahre eingegrenzt werden. Die für das 18. Jahrhundert und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend geltende Datierungshilfe eines Fünfjahreszeitraums zwischen der Herstellung und der Verwertung des Blattes ist in dieser Zeit nicht mehr anwendbar. Vielmehr zeigt die Erfahrung, daß der Zeitraum erweitert werden muß.
Die nach Aussterben der Schaumburger Dynastie im Jahr 1647 zum hessischen Territorium gehörende Stadt Obernkirchen war vor allem durch ihre Sandsteinbrüche bekannt, die seit dem Spätmittelalter bis in die Niederlande und nach Skandinavien Material für den Hausteinbau lieferten. Das dortige Kanonissenstift mit seiner Maria geweihten Stiftskirche geht auf eine Gründung durch den Welfenherzog Heinrich den Löwen im Jahr 1167 zurück. Im Zuge der Reformation wurde das Kloster aufgehoben und 1565 in ein evangelisches Damenstift umgewandelt, das bis heute besteht (Suckale 2001, S. 3).
Die großräumige, dreischiffige Hallenkirche zu jeweils fünf quadratischen Jochen wurde ab dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts errichtet. Dabei geht das mächtige romanische Westwerk in seinem Untergeschoß noch auf den romanischen Vorgängerbau einer kreuzförmigen Basilika im gebundenen System zurück. Der Umbau zur Hallenkirche orientierte sich am Grundriß des romanischen Querhauses, was zur Beibehaltung der westlichen Querschiffmauer zwischen dem zweiten und dritten Joch im südlichen Hallenschiff führte. In den beiden östlichen Jochen ist in diesem Bauteil der erhöhte Nonnenchor untergebracht. Im Nordosten befindet sich die Sakristei mit Mittelstütze und vierfachem Kreuzgewölbe und einer darüber gelegenen Empore.
Den Innenraum gliedern kräftige, auf Abstand gesetzte Achteckpfeiler, über die die spitzbogigen Kreuzrippengewölbe gespannt sind, wobei die kantigen Kämpfergesimse eine deutliche Zäsur bilden. Die Gewölbe haben durchgehende Scheitel, so daß eine einheitliche Wirkung des Raumes entstehen kann.
Die geplante Umgestaltung des Kirchenraums ist erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgenommen worden. Die umfangreiche Restaurierung des Jahres 1892 prägt den Raum bis heute (Suckale 2001, S. 22).

Stand: August 2007 [MH]




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