12.7.7 Wolff, Johann Heinrich


In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts setzte sich Johann Heinrich Wolff intensiv mit der Problematik der Gestaltung eines protestantischen Kirchenbaus auseinander. Das entsprach ganz dem Zeitgeist in den Jahren nach den Befreiungskriegen, in denen sich bedeutende Architekten wie Schinkel und Klenze dieser Fragestellung widmeten. Leo von Klenze legte mit seinem architekturtheoretischen Werk "Anweisung zur Architektur des christlichen Cultus" (1822/24 und 1834) ein Musterbuch des modernen Kirchenbaus vor, das sich auf Grundlage der klassizistischen Architekturtheorie sowohl gegen die Romantik und den aufkommenden Historismus wie auch gegen den nüchtern-materialistischen Funktionalismus richtete (Buttlar 1990, S. 5f.). Im Nachlaß Wolff finden sich verschiedene Skizzen und Entwürfe von Kirchengrundrissen (L GS 15170 - L GS 15172), die dessen Ringen um die beste Grundrißgestalt dokumentieren.
In mehreren Grundrißskizzen setzte er sich mit dem basilikalen Schema auseinander. Der Typus der frühchristlichen Basilika war bereits von Alberti neben dem Zentralbau als Urform des christlichen Gotteshauses herausgestellt worden. Im 18. Jahrhundert stieß diese Bauform neuerlich auf Interesse. In Stieglitz' "Enzyklopädie der bürgerlichen Baukunst" (1792-1798) wurde die Basilika als Prototyp der Sakralbaukunst bewertet. 1825 entwickelte Schinkel Pläne zu einer "Normalkirche" auf der Grundlage des Basilika-Schemas. Wolffs Entwürfe zu dieser Bauform kamen über ein tastendes Anfangsstadium jedoch nicht hinaus. Ihm gelang es nicht, seine Gedanken zu einem gestalterischen Abschluß zu bringen. Statt dessen verfolgte er die Idee eines Zentralbaus, die er schließlich als vierteiligen Präsentationsentwurf vorlegte (L GS 14623 - L GS 14626). Art und Ausführung - die Darstellungen sind in einem runden, doppelt gerahmten Feld mit erläuternden Beschriftungen auf einem Extrablatt versehen - lassen zwei mögliche Absichten vermuten: Entweder fertigte Wolff die Entwürfe ohne Auftrag, einzig zur Empfehlung seiner Arbeit an, oder sie entstanden vor dem Hintergrund eines konkreten Projekts, über dessen Inhalt jedoch nichts bekannt ist. Die stringent angelegten Grund- und Aufrißstrukturen lassen jedoch eher einen Idealentwurf vermuten, der innovativ ausgeführt einen Werbecharakter für den Baumeister Johann Heinrich Wolff haben sollte.
Trotz der Herausstellung des basilikalen Kirchenbauprinzips legten auch die bekannten deutschen Architekten der Zeit Entwürfe für den Bau einer Kirche auf zentralem Grundrißschema vor. Bereits im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fertigte Schinkel Entwürfe zu einem überkuppelten Zentralbau für das Projekt des Berliner Doms an. Friedrich Weinbrenner entwarf 1808 für die evangelische Stadtkirche in Karlsruhe ebenfalls einen überkuppelten Zentralbau, bei dem die Kreuzform von einer Rotunde durchdrungen wird (Katalog Karlsruhe 1977, S. 63). Für die protestantische Kirche St. Matthäus in München erarbeitete Leo von Klenze (1818/19) einen Zentralbau auf der Grundlage eines griechischen Kreuzes, dessen quadratischer Kuppelraum mit einer kassettierten Kuppel überwölbt werden sollte. Statt Klenzes am römischen Pantheon und der palladianischen Villenarchitektur orientierten Entwurf wurde ein Plan von Johann Nepomuk Pertsch ausgeführt, der einen querovalen Bau im neoromanischen Stil mit einem auf quadratischer Grundfläche angelegten, frei stehenden Kirchturm vorsah. Einige der hier verarbeiteten Gedanken finden sich in den Entwürfen von Wolff wieder.
Auffälligerweise gehören diese Blätter nicht zum Nachlaß Wolff, sondern sie haben eine andere, bisher unbekannte Provenienz. Denkbar wäre die Herkunft aus den Beständen der Kasseler Akademie. Die Präsentationszeichnungen sind die bei weitem bedeutendsten Blätter, die von Johann Heinrich Wolff bekannt sind, da sie einerseits seine zeichnerisch besten Arbeiten darstellen und andererseits ein abgeschlossenes Projekt mit Entwurfsqualität bedeuten.

Stand: September 2004 [MH]




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