4.44.1.2 - Meiningen, Reithaus und Marstallflügel, erster Entwurf zur Fassade, Aufriß



4.44.1.2 - Meiningen, Reithaus und Marstallflügel, erster Entwurf zur Fassade, Aufriß


Inventar Nr.: GS 5887
Bezeichnung: Meiningen, Reithaus und Marstallflügel, erster Entwurf zur Fassade, Aufriß
Künstler: Heinrich Christoph Jussow (1754 - 1825), Architekt/-in
Datierung: 1796
Geogr. Bezug: Meiningen
Technik: Graphit, Feder in Grau, grau laviert
Träger: Papier
Wasserzeichen: keine Angabe
Maße: 29,4 x 48,4 cm (Blattmaß)
Maßstab: -
Beschriftungen: oben mittig: "Façade vom Marstall." (Feder in Braun)
unten: "Na Dieses waren die ersten Entwürfe, sind aber / nach dem beiliegenden Risse abgeändert worden." (Feder in Braun)
in der Darstellung: "Facade vom Reithauße." (Feder in Braun)


Katalogtext:
Der erste Entwurf zum Aufriß des Marstalls und des Reithauses in Meiningen entspricht weitgehend dem im Situationsplan enthaltenen Grundriß der gesamten Anlage (GS 6062). Den Marstallflügel zeichnete Jussow durch eine besonders repräsentative Fassadengestaltung gegenüber dem Reithaus aus. Der langgestreckte Baukörper erhielt einen dreigeschossigen Aufbau, bestehend aus einem Sockelgeschoß mit Nischen, den auf einem schmalen, die Geschoßgliederung unterstreichenden Gesims aufliegenden Lünettenfenstern sowie einem Mezzaningeschoß mit querrechteckigen Fensteröffnungen. Abweichend vom Grundriß springen die dreiachsigen Seitenteile des Gebäudes risalitförmig vor. Weiter heben sie sich vom Mittelteil dadurch ab, daß die Nischen im Sockelgeschoß durch Fenster mit Dreiecksgiebeln ersetzt wurden. Den Hauptakzent der Fassade setzt Jussow aber auf den dreiachsigen Mitteltrakt. Eine an das Pantheon erinnernde Kuppel hebt diesen Teil besonders hervor. Zusätzlich wird er durch freistehende Säulenpaare betont, die den zentralen Eingang flankieren. Sie tragen jeweils ein Gebälkstück, auf dem eine weibliche Figur thront. Jussow verbindet hier die zentrale Kuppel mit einem Motiv aus der Triumphbogenarchitektur, das ihm möglicherweise durch die zeitgenössische französische Baukunst vermittelt worden ist.
Für die Reithalle schlägt Jussow eine Fassadenlösung vor, die die Mitte weniger stark als beim Marstallflügel betont. Der zweigeschossige, gleichfalls durch ein schmales Gesims mit einem Festonband in der Horizontalen unterteilte Bau besitzt ein zentrales Rundbogenportal mit eingestellten dorischen Säulen, die ein Gebälk mit Trophäen tragen. Rechts und links flankiert jeweils eine Reitergruppe die Rampe, die zum Portal emporführt, und akzentuiert auf diese Weise nochmals die Eingangssituation. Davon abgesehen wird die schlichte Fassade nur sparsam durch zwei Nischen im Sockelgeschoß sowie zwei große Lünettenfenster im Obergeschoß gegliedert.
Wie Faltspuren bei dem Aufrißentwurf und beim Situationsplan belegen, hat Jussow beide Blätter nach Meiningen zur Begutachtung gesandt und erhielt sie von Schaubach mit den Korrekturen des Herzogs in Graphit sowie einem Begleitschreiben vom 10. Mai 1796 zurück. Offensichtlich hatte der Herzog mit der schlichten, in ihrer geometrischen Strenge dem Kanon der Revolutionsarchitektur entsprechenden Formensprache Schwierigkeiten. So läßt er Jussow über Schaubach folgende Wünsche und Änderungsvorschläge übermitteln: "Wenn ich iezt aufs neue mich unterstehe", schreibt Schaubach, "Ew. Wohlgebornen mit meinem Schreiben lästig zu sein, so geschieht es blos auf besonderen Befehl unseres Durchlauchtigsten Herrn Herzogs. Hochdieselben wünschten neulich, daß ich in Ihrem Namen [...] Ew. Wohlgebornen die Versicherung geben möchte, daß Ihnen der Entwurf, den Ew. Wohlgeborene vom Reithause gemacht haben, außerordentliche Freude gemacht habe, daß Ihre Durchlaucht Ew. Wohlgebornen versuchten, Ihnen doch noch in einer müßigen Stunde den Grundriß zu den Wohnungen in der zweiten Etage zu entwerfen. Anbei folgende kleine Bedenken wünschten der Herr Herzog indeßen Ew. Wohlgebornen Bemerkung zu hören. Sr. Durchlaucht glauben nemlich, ob es nicht beßer sei, wenn statt der Nischen und der runden Fenstern oben drüber, große Fenster gesetzt würden, als wie an den beiden Seiteneingängen des Stalls die Fenster sind. Und ob nicht die Facade des Reithaußes, da sie eine Hauptfacade mit ausmacht, vielleicht zu einfach würde? Nach der Meinung Seiner Durchlaucht würde das Stück vom Reithauße, daß Höchstdieselben mit Bleistift angestrichen haben, sich mit einer Kuppel recht gut an der Mitte der Facade vom Marstall ausnehmen. Ferner wünschten Höchstdieselben, ob es nicht möglich wäre, den Eingang in den Stall A an die Facade vom Reithauße zu versetzen, welches Seiner Durchlaucht ebenfalls mit Bleistift angestrichen haben. Zu unserer Bequemlichkeit wünschten Sr. Durchlaucht endlich, statt der Brüstung auf dem Dache nur ein ganz flaches Dach zu haben. [...] Wenn es irgend Ew. Wohlgeborenen Zeit erlauben sollte, wünschten Seine Durchlaucht gerne, noch eine Zeichnung von Ihrer Hand, mit diesen kleinen Veränderungen" (mhk, Graphische Sammlung, Nachlaß Jussow).
Die von Schaubach übermittelten Änderungswünsche des Bauherrn beziehen sich demnach vor allem auf das Reithaus, das gegenüber dem Marstall aufgewertet werden soll. Seine Fassade ist dem Herzog zu schlicht. Deshalb wünscht er eine stärkere Mittelbetonung in Form einer Kuppel, die denn auch schemenhaft als Graphiteinzeichnung im Plan zu erkennen ist und in ihrer Breite derjenigen der Rampe mit den Reitergruppen entsprechen soll. Anstelle der Nischen mit den Lünettenfenstern darüber wünscht der Herzog große Fenster wie in den Seitentrakten des Marstalls und als Postskriptum fügt Schaubach noch an, daß Georg I. vor dem Reithaus freistehende Säulen bevorzugen würde.
Nach den Vorstellungen des Bauherrn sollen also die beiden Fassadengestaltungen einander angeglichen werden. Weiter fügt er in der Zeichnung in Graphit einige praktische Verbesserungsvorschläge an: Der Remisenflügel und der Marstallflügel sollen etwa an den Schmalseiten zum Reithaus hin mit Türen versehen werden und für die Schmalseiten des Reithauses und des zweiten Remisenflügels schlägt der Herzog im Obergeschoß querrechteckige Fensteröffnungen wie im Marstallflügel vor.
Welche von diesen Korrekturen Jussow berücksichtigt hat, zeigt der Aufrißentwurf GS 6063 aus seinem Nachlaß.

Text übernommen aus Katalog Kassel 1999/CD-Rom [CL]


Literatur:
Katalog Kassel 1958, S. 41, Nr. 108; Berckenhagen 1979, S. 176; Skalecki 1992, S. 198f., Abb. 57; Katalog Kassel 1999/CD-Rom; Katalog Kassel 1999/1, S. 252, Kat.Nr. 106


Letzte Aktualisierung: 09.04.2015



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