12.1.4.2 - Idealentwurf für eine Dreiflügelanlage, Hauptfassade, Aufriß



12.1.4.2 - Idealentwurf für eine Dreiflügelanlage, Hauptfassade, Aufriß


Inventar Nr.: Marb. Dep. 108
Bezeichnung: Idealentwurf für eine Dreiflügelanlage, Hauptfassade, Aufriß
Künstler: Julius Eugen Ruhl (1796 - 1871), Zeichner/-in, fraglich
Datierung: um 1840
Geogr. Bezug:
Technik: Graphit, Feder in Grau und Grün, hellrot und blaugrau laviert
Träger: Papier
Wasserzeichen: "J WHATMAN / 1837"
Maße: 50,3 x 72,6 cm (Blattmaß)
46,9 x 69,3 cm (Darstellungsmaß)
Maßstab: bezifferter Maßstab mit Maßeinheit "fus."
Beschriftungen: unten mittig: "Vordere Facade." (Feder in Grau)


Katalogtext:
Mit dem Grundrißentwurf Marb. Dep. 107 hatte Ruhl bereits den hohen Anspruch seines Projekts vor Augen geführt. Dem kam er auch bei der Gestaltung der Fassade nach, indem er eine repräsentative Architektursprache einsetzte, die den Schloßcharakter des Gebäudes deutlich werden läßt. Der breit gelagerte Baukörper im Stil der italienischen Protorenaissance mit den gestaffelt angeordneten Dachaufsätzen und dem üppigen Baudekor entspricht der Vorstellung eines fürstlichen Bauprojekts.
Über einer schmalen Sockelzone, die durch die Fensterluken des Kellergeschosses gegliedert wird, und dem Erdgeschoß aus Rustika-Mauerwerk erheben sich zwei vom Untergeschoß durch ein umlaufendes Gesims abgetrennte Obergeschosse, wobei die großen, reich profilierten Fenster des ersten Geschosses dieses deutlich als Beletage hervorheben. Der viergeschossige, hierarchische Fassadenaufbau wird von einem breiten, dreiachsigen Mittelrisalit dominiert, der den Bau um ein zusätzliches Dachgeschoß überragt. Seitlich wird der Baukörper von den breiten Risaliten überhöht, die weit aus der Mauerflucht der Seitenfronten treten und den Dachfirst mit einem Aufsatz in der Art eines Belvedere überragen.
Die Fassadenmitte wird durch ein großes Rundbogenportal akzentuiert, ferner durch die gestaffelte Fensteranordnung der Beletage mit dem vorgeblendeten mittleren Mauerabschnitt sowie durch das Wappenfeld im Dachgeschoß. Vierachsige Fassadenabschnitte flankieren den Risalit, dessen genutete Lisenenrahmung an den einachsigen Seitenrisaliten wiederaufgenommen wird und so ein verbindendes vertikales Gliederungselement schafft. Wie sich erst anhand des Grundrisses zeigt, liegen die beiden Lisenen nicht in derselben Fassadenebene, sondern der rundbogige Eingang mit der direkt darüber angeordneten Fensterbrüstung kragt aus der Mauerflucht hervor. Durch diese Versprünge erlangt die vielteilige Fassadenstruktur eine zusätzliche Dynamik. Diesem Gestaltungskonzept trägt auch die Anlage eines Altans Rechnung, der dem Eingangsbereich vorgesetzt ist. Hiervor wiederum sind die beiden Postamente mit den liegenden Löwenskulpturen plaziert, die den Haupteingang flankieren und zusammen mit dem großen Wappenfeld im Dachgeschoß des Mittelrisalits als Herrschaftsinsignien zu verstehen sind.
Ein hervorstechendes Merkmal dieses Aufrißentwurfs ist der reiche Fassadenschmuck des im Rundbogenstil gestalteten Gebäudes. Dabei wird durch den Versatz verschiedenfarbiger Steine auf der Fassadenfläche der Obergeschosse ein Fassadenmuster entwickelt, das die farbigen Marmorinkrustationen der italienischen Kirchen der Protorenaissance rezipiert.
Die Gestaltung einer repräsentativen Gebäudeanlage mit Schloßcharakter behielt auch im 19. Jahrhundert ihren Stellenwert einer anspruchsvollen Architekturaufgabe. Angeregt von dem Stichwerk von Percier und Fontaine über italienische Renaissancevillen (Percier/Fontaine 1809), das zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen für diese Bauaufgabe benutzbaren Formenkanon zur Verfügung stellte, entstanden breit gelagerte, auf Fernwirkung angelegte Baukörper mit Seitentürmen oder Dachaufsätzen in einer Parklandschaft. An diesem Vorlagenwerk orientierte sich Adolf Lohse bei seinem Entwurf von Schloß Albrechtsberg bei Dresden (Baubeginn 1847, vgl. Sonne 1998, S. 146). Auch die Residenzentwürfe von Georg Moller (um 1806) und Klenzes Entwürfe für den Palast auf der Akropolis in Athen von 1834 zeigen die Merkmale dieses Formenkanons. Im Rahmen einer Aufgabenstellung an der Kasseler Bauakademie entwickelte Albrecht Rosengarten nach 1836 einen Idealentwurf mit der Ansicht der Südfassade eines Schlosses (GS 16820), der einen breit gelagerten Baukörper mit Dachaufsätzen zeigt. Der vor einer Terrassenanlage gelegene, auf einen Höhenzug ausgelegte Bau basiert mit seinem hierarchischen Schoßaufbau und der Risalitgliederung der Fassade auf einem ähnlichen Konzept.
Stand: August 2007 [MH]


Literatur:
unpubliziert


Letzte Aktualisierung: 08.09.2017



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