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4.11.5.1 - Berlin, St. Hedwig nach J.-L. Legeay, Aufriß von Westen



4.11.5.1 - Berlin, St. Hedwig nach J.-L. Legeay, Aufriß von Westen


Inventar Nr.: L GS 14616
Bezeichnung: Berlin, St. Hedwig nach J.-L. Legeay, Aufriß von Westen
Künstler: Heybold (tätig um 1780), Zeichner/-in, fraglich
Datierung: 1770 (nach)
Geogr. Bezug: Berlin
Technik: Graphit, Feder in Schwarz und Grau, grau laviert
Träger: Papier
Wasserzeichen: Krone über Medaillon mit steigendem, ein Pfeilbündel tragendem Löwen, Umschrift "PRO PATRIA (EIUSQUE LIBERTATEM)", darunter "C & I HONIG"
Maße: 37,3 x 43,5 cm (Blattmaß)
Maßstab: bezifferter Maßstab mit Maßeinheit "fus"
Beschriftungen: unten mittig: "L'Eglise Catholique a Berlin" (Graphit)
oben rechts: "Bl. 279" (Feder in Rot)
unten rechts: "Heÿbold" (Feder in Braun)


Katalogtext:
Ein biographisch bisher nicht greifbarer Zeichner namens Heybold legte den aus dem Nachlaß Wolff stammenden Aufriß der Berliner Hedwigskirche vor. Er fertigte die Darstellung nach einer Vorlage an, vermutlich ohne den Bau aus eigener Anschauung zu kennen. Zu Studienzwecken wurden derart prominente Architekturbeispiele der Zeit von Baueleven und jungen Baumeistern gezeichnet, um sich mit dem modernen Formenkanon auseinanderzusetzen und gleichzeitig die zeichnerischen Fähigkeiten zu erweitern.
Nach den Vorgaben Friedrichs II. hatte der preußische Hofbaumeister Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff Pläne für den Bau eines eigenen Gotteshauses für die Berliner Katholiken erarbeitet. 1747 wurde unter dem Baumeister Jan Boumann d. Ä. mit dem Bau begonnen, der in Anlehnung an das römische Pantheon eine Kuppelkirche auf rundem Grundriß zeigt (Badstübner-Gröger 1986, S. 4f., 10f. mit Verweis auf Giersberg 1975; Hasak 1932, S. 58ff. sah die Kirche noch als Friedrichs ureigenen Entwurf an). Die architekturgeschichtliche Bedeutung der Kirche liegt in der Anwendung einer klassizistischen Formensprache, die in Deutschland hier und beim Berliner Opernhaus erstmals zum Einsatz kam. Stilgeschichtlich reiht sich die Berliner Hedwigskirche in eine Gruppe spätbarocker und klassizistischer Kirchenbauten ein, zu der neben der Französischen Kirche in Potsdam (1752/53, jedoch auf querelliptischem Grundriß), der katholischen Stadtkirche St. Stephan in Karlsruhe (1808-1814) auch die katholische Kirche St. Ludwig in Darmstadt zählt (Dehio Berlin/Potsdam 1983, S. 20-22; Reuther 1969, S. 125f.; Gottschalk 1985, S. 184).
Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts kam mit dem Bau der Laterne der modifizierte Entwurf des Pariser Architekten Jean-Laurent Legeay von 1747 zur Ausführung, der die bisherige Dachlösung in Form einer Oberlichtführung mit Opaion ablöste (Hasak 1932, S. 224-227). Die modifizierten Entwürfe hatte Legeay in einer Stichfolge veröffentlicht, auf die Heybold, wie anhand einiger Details deutlich wird, bei seiner Präsentation der Kirche zurückgriff. Die Darstellung der Kuppel mit Laterne entstammt ebenso wie der spezifische Baudekor dem Plan 6 der Stichfolge (Erouart 1982, S. 101, Kat.Nr. 125). Zwar ist die Bildfolge in den Supraporten, für die ein christologisches Bildprogramm in Form eines reliefierten Bildfelds vorgesehen war, nur skizzenhaft angedeutet, die Besetzung der Mitte der fünfteiligen Bilderfolge mit einer später nicht ausgeführten Kreuzigungsdarstellung findet sich in der Vorlage jedoch ebenfalls. Auch die nicht realisierte, in der Heybold-Zeinung aber vorhandene Friesgestaltung mit den zwischen Doppelkonsolen gespannten Fruchtgehängen kann auf den Legeay-Stich zurückgeführt werden. Ein weiteres Indiz dafür, daß der Legeay-Kupferstich Heybold als Vorlage diente, sind die Einzelfiguren auf hohen Postamenten, die die Giebelecken zieren. Die einzige im 18. Jahrhundert gearbeitete Skulpturengruppe war die von Wilhelm Christian Meyer d. Ä. 1773 als Giebelbekrönung geschaffene Figur der hl. Hedwig, die von einem Engel und der personifizierten Nächstenliebe flankiert wird. Diese zur Entstehungszeit des Blattes bereits vorhandene Figurengruppe zeigt die Heybold-Zeichnung nicht.
Zeichnerisch weist das Blatt dort Unzulänglichkeiten auf, wo sich Heybold von der Vorlage löste und frei gestaltete. So fehlte ihm das Wissen um die Darstellung der bei einer bestimmten Sonnenstellung verursachten Schattenwürfe. Neben der fehlerhaften Nischenverschattung entspricht der Schatten des Giebels nicht der zu erwartenden Verdunklung der entsprechenden Mauerteile. Probleme ergaben sich zudem bei der Proportionierung der Einzelteile. So ist die Laterne im Verhältnis zur Kuppel zu groß ausgefallen. Ein Mißverhältnis ergibt sich weiterhin zwischen dem Giebel und seinen bekrönenden Skulpturen. Angesichts dieser zeichnerischen Fehler muß das Blatt als Schülerarbeit interpretiert werden, die vermutlich im Rahmen der Ausbildung am Kasseler Collegium Carolinum entstand. Diese Einschätzung wird durch zwei weitere Heybold-Blätter in der Graphischen Sammlung unterstrichen, die zum einen in ebenfalls fehlerhafter Ausführung und mit Abweichungen vom Baubestand einen Aufriß der Pariser Kirche St. Geneviève (L GS 12988) und zum anderen ein korinthisches Kapitell mit Gebälk (L GS 15373) zeigen.
Stand: September 2004 [MH]


Literatur:
unpubliziert


Letzte Aktualisierung: 08.09.2017



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