2.3.2 Erstes Idealprojekt


Für den Neubau des Schlosses Weißenstein hatte bereits Landgraf Friedrich II. den prominenten französischen Architekten Charles De Wailly mit Entwürfen beauftragt. Dessen Pläne, die erst nach Friedrichs Tod in Kassel eintrafen, blieben unrealisiert (Dittscheid 1987). Jussow, der 1783-1785 bei De Wailly in Paris mit einem landgräflichen Stipendium studiert hatte, schickte 1786 von Rom aus Pläne für ein ideales Neubauprojekt nach Kassel, um sich mit ihnen beim neuen Landgrafen zu empfehlen. In dem auf den 24. März 1786 datierten Begleitbrief bat er, sein Stipendium für die Dauer eines Aufenthalts in England zu verlängern. Offenbar fand das Idealprojekt eine günstige Beurteilung, denn Wilhelm IX. genehmigte diesen Antrag (zit. in Dittscheid 1987, S. 23).
Jussows erstes Idealprojekt entstand 1786 in Rom und nicht 1784/85 im Pariser Atelier De Waillys, wie Hans-Christoph Dittscheid behauptet (zu dem Idealprojekt insgesamt: Dittscheid 1987, S. 65-79). Für die Entstehung der Zeichnungen in Italien sprechen Jussows Brief vom 24. März 1786 und der Brief des Obristen Johann Wilhelm von Gohr an den Landgrafen vom April 1786, mit dem er die Zeichnungen Jussows weiterleitete (zit. in Dittscheid 1987, S. 65). Im Inhaltsverzeichnis des Klebebands, in den die Präsentationsrisse eingeklebt sind (verschollen ist die Präsentationszeichnung, welche die Ansicht des Schlosses wiedergab, ehemals Bad Homburg v. d. H., Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, GK 42189; vgl. Dittscheid 1987, S. 66, 326, Nr. 34, Abb. 97, 101, 103-104), ist ausdrücklich zu den Zeichnungen vermerkt, sie seien 1786 in Italien verfertigt worden (Inhaltsverzeichnis zu Nr. VII des heute in Potsdam befindlichen Klebebands XV; vgl. Dittscheid 1987, S. 65). Darüber hinaus sind der Präsentationsschnitt durch den Salon und ein Grundriß nicht nur signiert, sondern auch mit der Jahresangabe "1786" datiert (beide Zeichnungen in Potsdam, SPSG, Plankammer, Bestand Kassel XV, Nr. VII/26). Dittscheid betrachtet diese Quellenlage als nicht relevant, weil der Idealentwurf eng an den Projekten von Jussows Lehrer De Wailly und anderer französischer Architekten orientiert ist (vgl. Dittscheid 1987, S. 249 u. 326).
Über die erwähnten Quellen hinaus lassen sich aber weitere Indizien dafür beibringen, daß Jussow die Zeichnungen des Projekts nicht nur aus Rom absandte, sondern auch dort entwarf. So weist GS 6073 ein Wasserzeichen des italienischen Papiermacherortes "Fabriano" auf. Dieses Papier verwendete Jussow in Rom. Das Skizzenblatt GS 6342, auf dessen Rückseite sich auch die Wiedergabe des Äskulap-Tempels der Villa Borghese befindet, weist ebenfalls dieses Wasserzeichen auf.
Für die Entstehung des Idealprojekts in Rom sprechen schließlich die Entwürfe selbst, weil Jussow in ihnen eine Reihe römischer Anregungen verarbeitete, wie etwa die Obelisken, die mit ihren Bekrönungen durch Sterne dem römischen Umfeld entlehnt sind. Die in der Konzeption vorhandenen französischen Elemente konnte Jussow auch in Rom in die Pläne einbeziehen. De Waillys Ratschläge waren ihm gegenwärtig, seine in Paris gefüllten Skizzenbücher konnte er weiterhin nutzen, Stichwerke französischer Architekten waren in Rom zugänglich und Kontakte zu französischen Künstlern wegen der dortigen französischen Akademie leicht möglich.

Text gekürzt und leicht überarbeitet übernommen aus Katalog Kassel 1999/CD-Rom [FCS]




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