2.3.23 Baumaßnahmen unter Kurfürst Wilhelm II.


Trotz manch liberaler Ansätze, die sich in der Modernisierung von Verwaltung und Militär niederschlugen, verfolgte Wilhelm II. einen restaurativen Kurs ohne politische Mitbeteiligung der Landstände. Die berechtigten Hoffnungen seiner Untertanen auf eine Veränderung des Staatswesens zerschlugen sich damit bereits zu Beginn seiner Herrschaft. Eine aufwendige Hofhaltung und die familiären Auseinandersetzungen wegen der Verbindung zu der als herrschsüchtig eingeschätzten Bürgerlichen Emilie Ortlöpp, der späteren Gräfin Reichenbach, trübten das Verhältnis zwischen Wilhelm II. und der Kasseler Bürgerschaft zunehmend. Als die Feindseligkeit seiner Untertanen mit der Vergiftung eines Lakaien und der sog. Drohbriefaffäre offen zutage trat, zog sich Wilhelm II. noch 1821 aus seiner Stadtresidenz, dem am Friedrichsplatz gelegenen Residenzpalais, nach Schloß Wilhelmshöhe zurück. In einiger Entfernung von der Stadt richtete er seine Residenz ein. Dazu wurden umfangreiche Umbauten im Weißensteinflügel sowie im Corps de Logis vorgenommen, die der Modernisierung der Schloßräume dienten und gleichzeitig dem verstärkten Sicherheitsbedürfnis Wilhelms II. entgegenkamen. So ließ er die Tordurchfahrten mit Gittern versperren und sämtliche Eingänge in den Nebenflügel schließen. Im Weißensteinflügel wurde das alte Treppenhaus herausgerissen (Brunckhorst 2006, S. 35) und durch ein neues, in der südwestlichen Apsis ersetzt (als unter preußischer Herrschaft Wohnungen für die kaiserlichen Prinzen eingerichtet wurden, ist diese Treppe in der Apsis 1897 wieder entfernt und eine neue, im Vergleich zum Ursprungsbau an das Außenmauerwerk verlegte zweiläufige Treppe im Vestibül errichtet worden; Holtmeyer 1910, S. 319). Unter der Bauleitung seines Oberbaudirektors Johann Conrad Bromeis ließ Wilhelm II. im Erdgeschoß anstelle des Schlafzimmers in dem vor der südöstlichen Apsis gelegenen Raum ein Marmorbad einrichten, das das im Kellergeschoß der südwestlichen Apsis untergebrachte (und heute noch vorhandene) Bad ersetzen sollte.
Von weitreichenden Umgestaltungsmaßnahmen war auch das Corps de Logis betroffen. Im Erdgeschoß wurden die beiden nordöstlich des großen Empfangssaals gelegenen Gesellschaftszimmer, die unter Jérôme zu einer Gemäldegalerie zusammengelegt worden waren (Brunckhorst 2006, S. 35), nun zum Speisesaal umfunktioniert. Der südlich davon gelegene Audienzsaal war bereits unter Jérôme um eine Nische erweitert und neu dekoriert worden. In der Beletage wurde das erste, parkseitig gelegene Vorzimmer zum Empfangssaal, der stuckiert in Gelb und Grün ausgelegt wurde, und das zweite, südlich anschließende Vorzimmer zum sog. Rangeschen Saal (benannt nach den von Andres Range angefertigten Supraporten) umgestaltet und mit einer neuen Möblierung im Stil des Spätempire ausgestattet. Das stadtseitige, gegenüber dem Rangeschen Saal gelegene Residenzzimmer wurde zum "Rothen Zimmer", und im nördlich des Festsaals gelegenen Raum (Raum 55) entstand das Grüne Empfangszimmer, dessen Namen auf eine grün-gelb gemusterte Seidenstoffbespannung zurückzuführen ist. Die beiden in den Apsiden gelegenen Schlafzimmer in der Beletage erhielten neue Wandverkleidungen und sind mit neuem Mobiliar ausgestattet worden, das im südlichen Schlafzimmer (Raum 60) aus Mahagoniholz gearbeitet, mit Bronzeapplikationen versehen und bei den Sitzmöbeln mit violettem Samt bezogen wurde. Für das nördliche Schlafzimmer entstanden Möbel aus hellbraunem Birkenmaserholz mit Bronzebeschlägen und Sitzmöbel mit einem Bezug aus grünem Seidendamast (Bidlingmaier 1998, S. 2423f.).
Die meisten weißen Stuckdecken im Erdgeschoß und in der Beletage erhielten einen gemalten Dekor in einer späten Ausprägung der Arabeskenmalerei, wobei weniger phantasievolle bzw. irreale Kombinationen von Einzelformen als vielmehr naturnahe florale Motive Verwendung fanden. Ein vermutlich von Julius Eugen Ruhl angefertigter Grundriß der Beletage, der sich in Potsdam (SPSG, Plankammer, Inv.Nr. 19814) befindet, zeigt die neue Deckengestaltung in den Einzelräumen. In diesem Bestand haben sich zudem viele Einzelentwürfe für die Decken des Corps de Logis und den südlichen Verbindungsbau erhalten. Ein kleiner Teil wurde darüber hinaus 1953 im Rahmen eines umfangreichen Konvoluts von den Geschwistern Michel, den Nachfahren des Obergärtners Michel, an die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Bad Homburg abgegeben.
Zur leichteren Verortung der besprochenen Räume werden die Raumnummern mit angegeben, wobei diese im Weißensteinflügel und im südlichen Verbindungsbaus der heutigen neuen Numerierung entsprechen. Für den restlichen Teil des Gebäudekomplexes wurden die vor der Zerstörung gebräuchlichen Nummern verwendet.

Stand: August 2007 [MH]




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