3.5.8 Stiftskirche


Mit den Unterhaltungsarbeiten an der Hersfelder Stiftskirchenruine gehörte Leonhard Müller zur Avantgarde der Denkmalpflege in Deutschland. Um 1828 begann er mit diesem Werk, das aus der allenthalben aufkommenden Begeisterung für die mittelalterliche Architektur motiviert war, aber auch von der Sorge um die Würde des Gemäuers, den Kampf um eine angemessene Nutzung und die Sicherung der hier enthaltenen Grabstätten getragen wurde. Müller erreichte die Verlegung eines Holzmagazins, das die Erhaltung der Ruine gefährdete. Den Höhepunkt erreichte Müllers Einsatz in 'Nachgrabungen' und Aufräumungsarbeiten, die der Landbaumeister zwischen April 1838 und August 1839 in Zusammenarbeit mit dem (1834 gegründeten) Verein für hessische Geschichte und Landeskunde durchführte.
Zur Vorbereitung oder während dieser frühen baugeschichtlichen Untersuchungen entstanden Zeichnungen für die Oberbaudirektion. Nach Münch sind diese in die Jahre 1836/37 zu datieren (Münch 1940, S. 318). Bisher ist allerdings noch nicht geklärt, ob die im Bestand der Graphischen Sammlung erhaltenen Blätter überhaupt identisch mit den 1836 von Müller selbst als noch unfertig erwähnten Zeichnungen sind (StAM Best. 86, Nr. 5262, Schreiben Müllers vom 30.4.1836).
Das ungeliebte, 1836 noch bestehende Holzmagazin hat Müller auf keiner der erhaltenen Zeichnungen vermerkt (sieht man einmal von Ösen ab, die im Scheitel der Triumphbögen von Hebewerkzeugen herrühren könnten, GS 12438 u. GS 12441). Dafür ist auf einem Blatt die frühestens im Herbst 1839 erneuerte Südecke der Westportalmauer noch in ihrem ruinösen Zustand wiedergegeben. Insgesamt unklar bleibt, welche Mauerpartien vor und welche nach der Renovierung gezeichnet wurden. So werden noch etliche Stellen mit üppigem Pflanzenbewuchs gezeigt, während die Gewände der Nordfenster des Nordquerhauses und der Fenster des südlichen Seitenschiffs neu aufgemauert sein könnten.
Müller zeichnete also bereits im Jahre 1836 und nochmals während seiner Nachgrabungen 1838/39, wobei verschiedene Blätter erst im Sommer 1839 entstanden oder vollendet worden sein dürften. Erst unlängt konnte das Skizzenbuch GS 14874 als das von Münch (Münch 1940, S. 318) und Großmann (Großmann 1955, S. 7) erwähnte Skizzenbuch Müllers identifiziert werden, da es, unsigniert, bislang nicht dem Nachlaß des Landbaumeisters zugeordnet war. Es enthält wohl als Vorstudien zu den großformatigen Zeichnungen zu bewertende Skizzen, Detailaufnahmen (Kapitelle, Basen, auch aus der Nordvorhalle) sowie Zeichnungen zweier Grabsteine. Es dürfte sich parallel zu den Sanierungsarbeiten und den Nachgrabungen gefüllt haben und wäre damit genauso wie die großen Blätter in die Jahre zwischen 1836 und 1839 zu datieren. Müllers zeichnerische Dokumentation war vermutlich im Sommer 1839 vollendet.
Bei den erhaltenen Zeichnungen scheint es sich in erster Linie um eine Bestandsdokumentation zu handeln. Inwieweit bereits Ideen für die eine oder andere Sanierungs- und Substanzerhaltungsmaßnahme eingearbeitet sind, muß vorerst offenbleiben. Zumindest ein Blatt kündet von einem künstlerischen Interesse an der Ästhetik des Ruinösen (GS 12436).
Die Blätter sind allesamt unsigniert, können aber über die Provenienz und die Handschrift der Legenden dem Landbaumeister zugeordnet werden. Es handelt sich um sechs Blätter zur Stiftsruine und um ein Blatt zum Katharinenturm. Das Papier trägt ein Wasserzeichen mit der Jahreszahl 1828. Die Provenienz dieser im Besitz Müllers verbliebenen und erst 1924 zusammen mit anderen Arbeiten an das Hessische Landesmuseum gegebenen Zeichnungen, die zarte Ausführung in Graphit und die Angabe auf Blatt GS 12437, derzufolge ein Metermaßstab nachzutragen ist, legen nahe, daß diese Blätter nicht als endgültige Version gedacht waren. Wenn Müller tatsächlich noch weitere Zeichnungen gemacht haben sollte, wären diese in den Akten der Oberbaudirektion (bzw. deren nachfolgenden Dienststellen) oder in Unterlagen des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde zu vermuten.
Im Kasseler Museumsbestand befindet sich auch eine aus dem Jahre 1847 stammende, nicht signierte Graphitzeichnung des nördlichen Querhausarms mit der Vorhalle (GS 12436). Ein direkter Zusammenhang zu Müllers Bauaufnahmen besteht nicht.
Aus dem Bestand des Landesdenkmalamts stammt ein rekonstruierender Grundriß der Stiftskirche (Marb.Dep. II, 322), dessen Zusammenhang mit den Forschungen Müllers noch näher zu untersuchen wäre.

Stand: Mai 2005 [TW]




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