4.16.1.1 - Büren, ehem. Jesuitenkirche St. Maria Immaculata, Längsschnitt (Nachzeichnung?)



4.16.1.1 - Büren, ehem. Jesuitenkirche St. Maria Immaculata, Längsschnitt (Nachzeichnung?)


Inventar Nr.: L GS 12510
Bezeichnung: Büren, ehem. Jesuitenkirche St. Maria Immaculata, Längsschnitt (Nachzeichnung?)
Künstler: F. Küster (tätig um 1777), Zeichner/-in
Datierung: 1777
Geogr. Bezug: Büren (Kreis Paderborn)
Technik: Graphit, Feder in Schwarz, grau, braun, rosa und grün laviert
Träger: Papier
Wasserzeichen: "C & I HONIG"
Maße: 28,8 x 42,4 cm (Blattmaß)
Maßstab: bezifferter Maßstab ohne Maßeinheit
Beschriftungen: oben links: "Profil de l'Eglise de Büren" (Feder in Schwarz)
unten rechts: "F: Küster 1777." (Feder in Schwarz)
verso: "Bia 1" (Graphit)
verso: "V b" (Farbstift in Rot)
verso: "V / B" (Graphit)


Katalogtext:
Das von dem Zeichner F. Küster angefertigte Blatt zeigt einen Längsschnitt durch die ehemalige Jesuitenkirche St. Maria Immaculata mit zwei unterschiedlichen Dachlösungen, die sich auf der linken Hälfte als Mansarddach und auf der rechten als abgekantetes Zeltdach präsentieren.
Laut der testamentarischen Verfügung Moritz von Bürens wurde die Gesellschaft Jesu verpflichtet, den Familiensitz zu einer Ordensniederlassung auszubauen und in Büren eine Jesuitenkirche zu errichten. Das Projekt durchlief verschiedene Planungsstadien, die unter Johann Conrad Schlaun für den Kirchenbau zunächst einen axial gelegenen Zentralbau hinter dem Kolleg vorsahen. Die Bauherren entschieden zugunsten des Planes von Gottfried Laurenz Pictorius, der eine Dreiflügelanlage entwarf, in deren Südflügel die Kirche eingebunden werden sollte. Im Verlauf der Bauarbeiten an dem Kolleg wurde von dem Plan jedoch abgewichen. Statt dessen kam in den Jahren 1754 bis 1771 nach Entwürfen des Bonner Hofbaumeisters Johann Heinrich Roth ein autonomer Bau zur Ausführung, dessen geplante Anbindung an das Kolleg durch Arkaden nach der Auflösung des Ordens nicht mehr realisiert werden konnte (Rudigkeit 1989, S. 137-189). In mehreren Planungsschritten wurde das projektierte Zentralbauschema erweitert. Der Kirchenbau nahm schließlich die Grundrißgestalt eines nach Westen orientierten griechischen Kreuzes mit angesetzten niedrigen Seitenschiffen an, der längsorientiert auf das liturgische Zentrum hin dennoch dem Zentralbaugedanken verpflichtet blieb (Rudigkeit 1989, S. 66).
Der von Küster angefertigte Längsschnitt präsentiert den Aufriß des tonnengewölbten Kirchenraums mit Blick nach Norden. Die Darstellung der überkuppelten Vierung, die als architektonisches Zentrum des Baues ausgebildet wurde, dominiert die Blattmitte. Der Aufbau der Langhauswände besteht aus Pilastern korinthischer Ordnung, auf denen ein hohes, reich profiliertes Gebälk mit auskragendem Gesims aufsitzt, das unmittelbar bis unter die Fenster der Stichkappentonne reicht. Als wichtigstes horizontales Gliederungselement wird es um die verdoppelten Vorlagen der abgeschrägten Vierungspfeiler verkröpft. Eine reduzierte Attika schließt in Höhe der Kämpferlinie des gestelzten Gewölbes den Wandaufbau ab (Stangier 1994, S. 71f.). An verschiedenen Stellen weicht Küster von dem Baubestand ab. So sind die Stichbögen der Kappen über den Fenstern in der Zeichnung spitz statt rund ausgeführt. Die Fenster, die die Bogenform ausfüllen, erhalten so eine gestreckte Form, die sich von der vorhandenen unterscheidet. Auch im Bereich des Schildbogens an der Stirnwand des nördlichen Querarms ist das Fenster in dieser Weise ausgeführt. Die Scheitelkartusche, die durch den Schildbogen angeschnitten worden wäre, ist ganz weggefallen und statt dessen eine stark profilierte Fensterrahmung mit Volutenenden eingezeichnet worden. Besonders hervorzuheben ist die Abweichung vom Baubestand jedoch bei der Kuppeldarstellung. Die Kuppel, deren Gestalt aus Gründen der Egalisierung von Kolleg und Kirche durch die Überdachung am Außenbau nicht sichtbar ist, erscheint in der Zeichnung gestauchter und die Segmentteilung ist unregelmäßig angelegt. Das hohe, stark profilierte Gebälk mit ausladendem Gesims, das den Bogenanfang verdeckt, ist auf das Gesims reduziert worden. Zwischen Gesims und Kuppel befindet sich eine schmale Attika, hinter die der Kuppelansatz zurückspringt. Zwar scheint die Zeichnung Küsters gemäß dem Baubestand eine Belichtung durch die Dachgauben vorzusehen, doch war eine seitliche Belichtung mit gleichzeitiger bildlicher Darstellung in einer Kuppellaterne offensichtlich nicht geplant. Die schmalere Scheitelöffnung lenkt den Blick einzig auf die Balken der beiden Dachkonstruktionen. Erhebliche gestalterische Abweichungen ergeben sich weiterhin bei der Fassadenattika und der Bedachung des Turmes, die sich durch den geschweiften Unterbau und die Zeltdachform vom Baubestand unterscheiden. Weitere Abweichungen finden sich bei der Darstellung der Stukkaturen. Die Wandfelder zwischen den Seitenschiffarkaden und dem Gebälk sind mit ovalen Rocaillekartuschen versehen worden, die von den Arkadenzwickeln bis in das Gebälk hochreichen. Küster führte jedoch eine verkleinerte Form aus, die fast vollständig in die querrechteckigen Wandfelder einbeschrieben ist.
In Anbetracht der für die Baugeschichte späten Datierung des Blattes und einer für die Präsentation vorgesehenen Ausführung - das Blatt wurde laviert, mit einem breiten Rahmen ausgestattet und betitelt - scheint es sich bei der Zeichnung zunächst um die Arbeit eines am Bau beteiligten Baumeisters zu handeln, der einen Entwurf für die Dach(neu?)gestaltung vorlegt. Die Abweichungen vom Baubestand schließen diese Zuordnung jedoch aus. Auffällig sind einige Mängel in der Zeichenweise wie unsauber ausgeführte Lavierungen, die an einigen Stellen nicht geschlossen aufgebracht, an anderen über die Umrisse hinaus geführt sind. Die Feder- und Pinselführung zeigt sich wie im Bereich des Turmhelms zuweilen grob und etwas ungelenk. Im Fall der Schattierungen stoßen Hell-Dunkel-Abschnitte unvermittelt aufeinander. Im Bereich der Kuppelsegmente wurden sie sogar fehlerhaft eingesetzt. Schließlich verkleinern sich die Maßstabzahlen in einer ungewöhnlichen Anordnung nach rechts. All diese Beobachtungen deuten auf die Arbeit eines Anfängers hin, eventuell sogar auf eine Studienarbeit. Ob die Abweichungen zum Baubestand auf eine spezielle Aufgabenstellung zurückzuführen sind oder als Nachzeichnung auf eine bisher unbekannten Entwurf zurückgehen, ließ sich bisher nicht klären. Aus der Planungsgeschichte hat sich nur ein Längsschnittentwurf von Franz Christoph Nagel aus einem frühen Planungsstadium (um 1750) erhalten, der keine Vergleichs- oder Abgrenzungsmöglichkeiten bietet.
Stand: September 2004 [MH]


Literatur:
unpubliziert


Letzte Aktualisierung: 08.09.2017



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