|<<   <<<<   25 / 25   >>>>   >>|

11.11.9.1 - Entwurf eines Thronsessels für das Königreich Westphalen, perspektivische Ansicht



11.11.9.1 - Entwurf eines Thronsessels für das Königreich Westphalen, perspektivische Ansicht


Inventar Nr.: GS 18408
Bezeichnung: Entwurf eines Thronsessels für das Königreich Westphalen, perspektivische Ansicht
Künstler: Johann Christian Ruhl (1764 - 1842)
Datierung: um 1809
Geogr. Bezug: Kassel
Technik: Graphit, Feder in Grau, grau, gelb, rosa laviert
Träger: Papier
Wasserzeichen: "D & C BLAUW", "PRO PATRIA / B", eingezäunter steigender Löwe
Maße: 30,7 x 40,5 cm (Blattmaß)
Maßstab: -
Beschriftungen: oben links: "Für [...]rath bestimmt" (Graphit)
mittig links: "25 M vor 1914" (Graphit)
oben: "1021" (Graphit)
unten links: "Joh. Chr. Ruhl" (Graphit)
unten links: "Ruhl del." (Feder in Schwarz)


Katalogtext:
In leicht verschobener Perspektive, die Ruhls Möbelzeichnungen zu eigen ist (s. GS 5713), liegt hier der Entwurf eines Thronsessels vor, der anhand des Wappens dem Königreich Westphalen zugeordnet werden kann.
Der tiefe Sessel besteht aus einer viereckigen gepolsterten Sitzfläche, die im englischen Stil ohne Unterbrechung in die gerade Rückenlehne übergeht (s. Entwürfe von William Chambers). Der Dekor ist antikisierend ausgeführt, indem Front- und Seitenzargen mit Mäandern und Rosetten dekoriert und die Rahmenhölzer der Rückenlehne in der Art eines Metopen-Triglyphen-Frieses alternierend mit Riffeln und stilisierten Akanthusblättern besetzt sind. Die Bekrönung bildet das große Majestätswappen des Königs von Westphalen, Jérôme Bonaparte, das effektvoll vor eine Vorhangdraperie gesetzt ist. Die hervorstechenden Details des Thronentwurfs bilden die dem Empire verpflichteten Dekorationselemente. Dazu zählen die markanten Sesselbeine, die als Greifenmonopodien mit ausgestellten, zu Armlehnen umfunktionierten Flügeln gestaltet sind, sowie die rückwärtigen Stützen. Die balusterförmigen Hinterbeine gehen direkt in die senkrechten Schenkel der Rückenlehne über, die als säulenartiger Rundstab mit Pinienzapfenbekrönung ausgebildet sind. Ruhl könnte hier den Entwurf eines "Grand fauteuil de bureau" aus dem "Recueil" von Percier und Fontaine aufgegriffen haben, der zu ersten Lieferung des Vorlagenwerks der beiden Initiatoren des französischen Staatsstils im Jahr 1801 gehörte, wobei Ruhl die Löwen durch Greifen ersetzte (Percier/Fontaine 1801-1812, Taf. 6). Das Werk der beiden französischen Architekten wurde häufig als Vorlage für die Ausstattung von Innenräumen genutzt. So nahm sich Bromeis eben diese Sesselstudie zum Vorbild für die Löwenmonopodien an seinen Sofabänken im Blauen Saal des Roten Palais in Kassel (Bidlingmaier 2000, S. 231). Hier wird Ruhls Bemühen augenfällig, sich der veränderten Staatsrepräsentation auf der Grundlage einer dem französischen Empire verpflichteten Formensprache anzupassen. Gleichwohl blieb sein Entwurf in der Grundform dem alten Stil verpflichtet und verwendete die neuen Motive versatzstückhaft. Bei der Form des Möbels orientierte er sich an dem älteren Entwurf eines Thronsessels für Wilhelm I., der für den Residenzsaal im Landgrafenschloß bestimmt war und der sich heute in Schloß Fasanerie befindet (Denkwürdigkeiten 1805; Riedl 1993, S. 268; Heppe 1995, S. 273f.). Der fehlende innovative Charakter mag ebenso wie die Ähnlichkeit mit dem Repräsentationsmöbel des hessischen Kurfürsten die Ablehnung seines vorgelegten Entwurfs begründet haben. Dagegen war der nach einem Entwurf von Grandjean de Montigny ausgeführte Thronsessel für den Ständesaal (Grandjean de Montigny 1810, Taf. 8; Holtmeyer 1914; s. a. GS 6972) in stärkerem Maß an dem neuen, an Frankreich orientierten Staatsstil ausgerichtet. Grandjean hatte das Möbel mit der charakteristischen kreisrunden Rückenlehne gestaltet, die den für Kaiser Napoléon geschaffenen Thronsessel in den Tuilerien auszeichnete. Auch bei der Inszenierung dieses wichtigen Repräsentationsmöbels durch eine aufwendige Baldachinarchitektur griff Grandjean de Montigny auf dieses Vorbild zurück. Johann Christian Ruhl wird vermutlich für die Herstellung des Thronsessels verantwortlich gewesen sein (Woringer 1916, S. 323). Für den Thronsaal des Palais Bellevue, das nach dem Brand des Stadtschlosses im Jahr 1811 als Stadtresidenz bezogen wurde, sind zwei Thronsessel von Ruhl angefertigt worden, wie eine Rechnung vom 21. Juli 1812 dokumentiert (StAM Akten des Kronschatzes 10b, Nr. 11), die vermutlich die verbrannten Möbel ersetzen sollten.
Ob es sich bei dem vorliegenden Entwurf um einen der genannten Thronsessel handelt, läßt sich nicht zweifelsfrei beantworten. Die Frage nach dem Aufstellungsort ist unmittelbar mit der Datierung der Zeichnung verknüpft. Eine frühe Entstehung, zu Beginn des Königreichs Westphalen, ist anzunehmen, wenn das Repräsentationsmöbel für das aus dem Fridericianum hervorgegangene Ständehaus bestimmt war. Sollte der Thronsessel dagegen im Thronsaal des Stadtschlosses stehen, so ist der Entwurf erst um das Jahr 1811 zu datieren. Aber auch die Bestimmung für das in Napoleonshöhe umbenannte Schloß Wilhelmshöhe ist nicht auszuschließen.
In seinem Oeuvre-Verzeichnis zu Johann Christian Ruhl hob Wolfgang Riedl die Bedeutung der Zeichnung hervor, da sie die einzige, Ruhl sicher zuzuschreibende Möbelzeichnung darstellt (Riedl 1993, S. 263). Wie hoch Ruhls Anteil an dem neuen Staatsstil war, ist aufgrund der schlechten Quellenlage unklar. Auch Ruhls späteres Schaffen nach der Rückkehr des Kurfürsten Wilhelm I. und schließlich unter der Regentschaft seines Sohnes Wilhelm II. ist nicht gesichert. Riedl sieht Ruhl als Nutznießer der neuen Regierung, der neben Aufträgen zur Anfertigung von Herrscherbildnissen auch am Umbau des Museums und der Neuausstattung von Schloß Wilhelmshöhe beteiligt war (Riedl 1993, S. 111ff.). In späteren Jahren hatte Ruhl nach dessen Einschätzung kaum noch Anteil an der entstehenden Hofkunst. Bidlingmaier urteilt im Gegensatz dazu, daß Ruhl auch unter Wilhelm II. Arbeiten für den Hof ausführte (Bidlingmaier 2000, S. 103, Anm. 105). So seien ihm ein Großteil der anfallenden Holzbildhauerarbeiten wie die Schnitzereien am Thronsessel des Roten Palais übertragen worden. Der Entwurf sei dagegen als Arbeit von Johann Conrad Bromeis zu werten (Bidlingmaier 2000, S. 252).
Als Kuriosum kann das Fragment eines Möbels in Schloß Friedrichstein in Bad Wildungen (Inv. Nr. 1940/466) angesehen werden, das durch ein prominent angebrachtes Messingschild Ruhl zugeschrieben wird. Das laut der Inschrift "Vom Thron König Jeromes" stammende Fragment aus Bronze, das quasi zur Inszenierung einem Rückenbrett aufgesetzt wurde, ist jedoch wohl aus späterer Zeit (Ottomeyer/Seelig 1983, S. 155, Anm. 98).
Stand: August 2007 [MH]


Literatur:
Ottomeyer/Seelig 1983, S. 155, Anm. 98; Riedl 1993, S. 262f.


Letzte Aktualisierung: 22.12.2020



© Hessen Kassel Heritage 2024
Datenschutzhinweis | Impressum