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1.4.2.2 - Kassel, Entwurf zum Residenzschloß, aueseitige Ansicht und Grundriß



1.4.2.2 - Kassel, Entwurf zum Residenzschloß, aueseitige Ansicht und Grundriß


Inventar Nr.: L GS 15157
Bezeichnung: Kassel, Entwurf zum Residenzschloß, aueseitige Ansicht und Grundriß
Künstler: Johann Heinrich Wolff (1792 - 1869), Zeichner/-in
Datierung: 1824/25
Geogr. Bezug: Kassel
Technik: Graphit
Träger: Papier
Wasserzeichen: "C & I HONIG"
Maße: 66,6 x 51,4 cm (Blattmaß)
Maßstab: -
Beschriftungen: oben rechts: "507." (Graphit)


Katalogtext:
Die unvollendete Graphitzeichnung zeigt den Grundrißentwurf des Untergeschosses und eine Ansicht der zur Fuldaaue gerichteten Fassadenseite des geplanten Kasseler Residenzschlosses. Mehr als die Hälfte des Blattes nimmt der Grundrißentwurf ein, der von der Struktur eines griechischen Kreuzes ausgehend eine symmetrisch aufgebaute Anlage präsentiert. Aufgrund des frühen Entwicklungsstadiums der Zeichnung ist ein Entwurfsliniengerüst erkennbar, dessen Grundlagen im Rastersystem des französischen Architekturtheoretikers Jean-Nicolas-Louis Durand zu suchen sind.
Um einen zentralen großen und mehrere kleinere Innenhöfe gruppiert sich symmetrisch eine Anzahl unterschiedlich geformter Räume, wobei schmale langgestreckte, nahezu quadratische und rundbogig abschließende Räume miteinander abwechseln. Teilweise eingezeichnete Deckenstrukturen zeigen Kreuz-, Tonnen- und Kuppelwölbungen und zeugen auch hier von einer bemüht anspruchsvollen Gestaltung, die weniger an ein konkretes Bauprojekt als vielmehr an ein akademisches Idealprojekt denken läßt.
Die Anlage wird stadtseitig durch einen breiten Portikus mit vorgelagerter dreiteiliger Freitreppe erschlossen. Durch ein transversales Vestibül, das hälftig in offener (durch Säulen gegliedert) und in geschlossener Variante präsentiert wird, können das in einem Quertrakt angeordnete Treppenhaus sowie die kleinen, säulenumstandenen Binnenhöfe erreicht werden. Dahinter liegt der innere, um den zentralen Innenhof gruppierte Raumkranz. Von den beiden Seitentrakten ist nur der östliche ausgeführt. Der einseitig rundbogig abgeschlossene Raum im Norden sollte einem späteren Entwurf (L GS 15250) zufolge die Bibliothek aufnehmen. Aueseitig liegen auf der Nord-Süd-Achse zwei quadratische Räume, wobei der südliche von einer Kuppel überwölbt wird. In seinen späteren Entwürfen (L GS 15160 - L GS 15162) hielt Wolff an den wesentlichen Gliederungsstrukturen fest. Einzelelemente veränderte er jedoch, indem er z. B. die Säulenstellungen an den Fassaden verlängerte, um die repräsentative Wirkung der Schauseiten zu erhöhen. Im Innern vereinfachte er die Raumabfolge und erreichte durch Wandvorlagen und eingestellte Säulen eine stärkere Belebung der Raumstrukturen.
Der Kontrast zwischen Arkaden und Mauern sowie das Wechselspiel von Bögen, Gewölben und Kuppeln läßt an die Struktur antiker Kaiserpaläste denken, auf die sich viele der an der Pariser Akademie entstandenen Entwürfe öffentlicher Gebäudeanlagen bezogen. Eine Reihe Zeichnungen dieser Art fertigte Johann Heinrich Wolff, häufig nach Vorlagen seines Mitschülers Louis-Théodore Liman, während seines Studiums in Paris an.
Die zur Fuldaaue hin ausgerichtete Schloßseite präsentiert sich der Stadtseitengliederung entsprechend zweigeschossig, im Mittelteil durch ein Mezzaningeschoß erhöht. Abweichend davon findet die Staffelung der Bauteile von den Seitentrakten auf den Portikus zu keine Entsprechung. Statt dessen springt der mittlere Fassadenabschnitt hinter die seitlichen breiten Fassadenfelder zurück, die somit als Eckrisalite in Erscheinung treten. Den mittleren Fassadenteil gestalten drei breite Mauerfelder mit Einzelfenstern, wobei die zentrale Achse durch rahmende Architekturglieder und die bekrönende Kuppel eines zweigeschossigen, zurückliegenden zentralen Saales akzentuiert wird. Abgesehen von dieser Vertikallinie dominieren die durch Fensterbänder gebildeten Horizontalen, die die Struktur italienischer Renaissance-Palazzi aufnehmen. Dieser Horizontalen ordnet sich offensichtlich die Gestaltung eines repräsentativen Eingangsbereichs unter. Der Eingang hebt sich bis auf die rahmende Säulenstellung kaum von den übrigen Maueröffnungen ab. Das vertikale und horizontale Gliederungssystem konnten dabei nicht überzeugend aufeinander abgestimmt werden, was Wolff bei der Ausarbeitung wohl auch bewußt wurde. Im Obergeschoß ergänzte er daher das an der stadtseitigen Fassade bereits angewandte Säulenmotiv.
Am steilen Abhang der Fuldaaue ist dem Bau eine zweiläufige, zweiarmige Treppe vorgesetzt, die ihrerseits auf eine monumentale, zweiarmige Treppenanlage zuläuft. Die beiden halbkreisförmigen Treppenarme, deren Wangen auf der rechten Seite versuchsweise mit kleinen Schalenbrunnen besetzt sind, umschließen eine angedeutete Bogenarchitektur mit bekrönender Statue. Dem Schloß selbst ist eine Futtermauer vorgesetzt, die an drei Stellen dreiteilige Blendnischen aufweist.
Der Entwurf weist manche Unzulänglichkeit auf, die wohl auf die fehlende Erfahrung Wolffs zurückzuführen sind. Neben den gestalterisch-konstruktiven Herausforderungen erwies sich vor allem der Standort mit seinem zur Stadt hin ansteigenden Niveau als besonders problematisch. Das Zusammenspiel der beiden Treppenanlagen und die Einbindung der Futtermauer können an dieser Stelle nicht recht überzeugen. Ob Wolff bei dieser Lösung geblieben ist oder eine Alternative ausarbeitete, ist nicht bekannt.
Stand: September 2004 [MH]


Literatur:
unpubliziert


Letzte Aktualisierung: 08.09.2017



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