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4.73.2.1 - Gutshaus für Graf von Bohlen in Pommern, Entwurf zum Erdgeschoß und zur Hoffront, Grund- und Aufriß (recto); Entwurf zur Gartenfront, Aufriß (verso)



4.73.2.1 - Gutshaus für Graf von Bohlen in Pommern, Entwurf zum Erdgeschoß und zur Hoffront, Grund- und Aufriß (recto); Entwurf zur Gartenfront, Aufriß (verso)


Inventar Nr.: GS 6065
Bezeichnung: Gutshaus für Graf von Bohlen in Pommern, Entwurf zum Erdgeschoß und zur Hoffront, Grund- und Aufriß (recto); Entwurf zur Gartenfront, Aufriß (verso)
Künstler: Heinrich Christoph Jussow (1754 - 1825), Architekt/-in
Datierung: um 1800
Geogr. Bezug:
Technik: Graphit, Feder in Braun, braun laviert
Träger: Papier
Wasserzeichen: keine Angabe
Maße: 28,5 x 26,9 cm (Blattmaß)
Maßstab: -
Beschriftungen: oben mittig: "Entwurf zu einem Wohngebäude auf dem Landgute des / Herrn Grafen von Bohlen in Pommern. / Fordere Façade nach dem Hofe." (Feder in Braun)
mittig in der Darstellung: "Grundriß des Rez de chaussée" (Feder in Braun)
in der Darstellung: diverse Maßangaben und Berechnungen (Graphit, Feder in Braun)
verso: "Façade nach dem Garten." (Feder in Braun)


Katalogtext:
Jussow hat mehrfach Entwürfe für repräsentative Wohnhäuser und Gartennebengebäude für hochstehende Bedienstete des Landgrafen geliefert. Friedrich Ludwig Graf von Bohlen (1760-1828) war kurhessischer Hofmarschall. Nach dem Ausscheiden Friedrich Wilhelm von Veltheims wurde er, einer Anregung Jussows folgend, zum Vizedirektor der Kasseler Kunstakademie berufen (Knackfuß 1908, S. 105). Jussow selbst war seit dem Tode von Du Ry Direktor der Bauakademie und wird deshalb häufig mit von Bohlen zusammengetroffen sein. Von daher lag es nahe, daß der Hofmarschall ihn mit den Entwürfen für seinen geplanten Neubau beauftragte.
Bohlen besaß verschiedene Güter in Pommern. In Karlsburg in der Nähe von Greifswald verfügte die Familie über ein Schloß aus dem 18. Jahrhundert. Um 1800 ließ von Bohlen dort mehrere Innenräume umgestalten (Baier/Ende/Krüger 1973, S. 167-171). Weitere Ländereien befanden sich in Jasedow, in Steinfurt und Zarnekow. Für welches dieser Anwesen der Neubau gedacht war, ist unklar. Da die Familie inzwischen im Mannesstamm erloschen ist, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, ob sich ein Familienarchiv erhalten hat. Bei den vorliegenden Entwürfen handelt es sich um Ideenskizzen, die in Jussows Besitz verblieben. Wahrscheinlich hatte er die Präsentationsrisse der Familie übergeben, wie es auch bei den Entwürfen für den Baron von Veltheim der Fall war.
Der neunachsige, zweistöckige Bau mit Mezzaningeschoß bleibt vom Anspruch her deutlich hinter den Planungen für das Palais Veltheim zurück. Er sollte bis zum Mezzaningeschoß rustiziert werden. Der dreiachsige Mittelteil sprang leicht aus der Flucht hervor und wurde durch ein rundbogiges Portal, das sich über beide Geschosse zog, akzentuiert. In Anlehnung an den Pavillon der Mlle. Guimard von Ledoux in Paris (Gallet 1983, S. 86-92) versah Jussow das Portal im Erdgeschoß mit vier Säulenpaaren, die ein Gebälk tragen. Auch plante er kein Giebelfeld, sondern eine Attika mit einem festongeschmückten Fries. Bekrönt wurde der Mittelrisalit von einem plastischen Aufsatz mit dem Wappen der Familie von Bohlen.
Für die ungewöhnliche, sich über die gesamte Fassade erstreckende Rustizierung lassen sich ebenfalls Vergleichsbeispiele bei Ledoux aufweisen (vgl. etwa das Hôtel d'Hallwyl in Paris; Gallet 1983, S. 52f.). Jussow hat sie 1805/06 nochmals bei der sog. Lodge verwandt, die er für Wilhelm IX. in Bad Nenndorf errichtete. Bemerkenswert sind die zweiläufige Treppenanlage vor dem Portal sowie die Dachgauben mit den altertümlichen ovalen Fenstern, die noch an das Rokoko erinnern und sich an keinem anderen Bauwerk von Jussow nachweisen lassen.
In der Gestaltung des Eingangsbereichs weist der Entwurf Ähnlichkeiten mit dem ersten Fassadenaufriß für das Reithaus in Meiningen auf (GS 5887). Dies könnte dafür sprechen, daß die Entwürfe zeitlich eng beieinander liegen.
Abgesehen von der ungewöhnlichen Rustizierung steht die gartenseitige Fassade des Wohnhauses auf der Rückseite von GS 6065 mit dem viersäuligen, giebelbekrönten Portikus in der Tradition englischer Landsitze. Im Zusammenhang mit Vorbildern Jussows für das Corps de Logis von Schloß Wilhelmshöhe führt Dittscheid mehrere vergleichbare englische Bauten auf (Dittscheid 1987, Abb. 146, 200). Ähnlichkeit besteht natürlich auch zum Schloß Wörlitz von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff. Jussow hat mehrfach ähnliche Fassadenentwürfe geliefert, die je nach Anspruch und Bauaufgabe unterschiedlich aufwendig instrumentiert wurden, wie das Palais Veltheim in Braunschweig (GS 6055 u. GS 6056).

Text übernommen aus Katalog Kassel 1999/CD-Rom [CL]


Literatur:
Katalog Kassel 1958, S. 44, Nr. 116 (mit Abb.); Berckenhagen 1979, S. 176; Katalog Kassel 1999/CD-Rom


Letzte Aktualisierung: 09.04.2015



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